Quantcast
Channel: Wiener Alltagsbeobachtungen
Viewing all articles
Browse latest Browse all 209

Eigene Werte? Böse sind immer die anderen!

$
0
0
Jahr für Jahr wird bewiesen, wie rechtsextrem die FPÖ und ihre Politiker und Fans sind, aber cui bono? Die Wählerschaft legt dennoch zu. Blind auf dem rechten Auge? Oder gar Zustimmung? Nur Protest? Oder purer Opportunismus? Welche Gründe auch immer in Österreich dafür verantwortlich sind, dass die Rechtsaußenpartei so stark ist, die gebetsmühlenartig vorgebrachten Beweise für Nazigedankengut, Fremdenhass, der an Judenfeindlichkeit erinnert, oder das durchaus komische Herumreiten auf Rechtschreib- und Grammatikfehlern derer, die "Deutsch lernen!" von Migranten als Ersteres einfordern, haben scheinbar wenig Auswirkungen auf die Wahlergebnisse bzw. auf aktuelle Wahlumfragen.

Ja, Österreich hat ein Vergangenheitsbewältigungsproblem. Wie im Promifernsehen üblich, sind Promimenschen und der Boulevard unfähig, Satire zu verstehen. Egal ob das der angebliche Eklat von Cannes durch den "Nazi-Sager" Lars von Trier ist, die dilettantische Argumentation einer Eva Herman bei Johannes B. Kerner, oder eben Didi Hallervorden bei der ROMY-Preisverleihung, der entsetzte, empörte Aufschrei ist den Protagonisten immer gewiss. So legte Hallervorden mit "Heim ins Reich" die Wunde auf die mangelnde Aufarbeitung der Nazi-Geschichte in Österreich, das sich lange Zeit als Opfer Nazi-Deutschlands gesehen hat.

Hallervorden schrieb als Stellungnahme auf seiner Facebookseite Folgendes:
Anlässlich der ROMY-Preisverleihung in Wien habe ich meine Dankesrede mit dem wohlgemerkt ironischen Satz beendet:
"Ich führe die österreichische Romy morgen heim ins Reich!"
Damit wollte ich satirisch auf einen Tatbestand hinweisen, der in Österreich gern stillschweigend unter denn Teppich gekehrt wird, nämlich: Es war ein historischer Fehler, sich mit wehenden Fahnen und weit ausgebreiteten Armen Nazideutschland anzuschließen.
Ich denke, dass man eine Nation an ihre Geschichte erinnern darf, zumal der Slogan "Heim ins Reich" ja nun wahrlich nicht von mir erfunden wurde.
Mir war durchaus klar: Niemand ist begeistert, wenn man an begangene Fehler erinnert wird, zumal ich mit der Erinnerung an eine historische Tatsache die "Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung" des Abends konterkariert habe. Begeisterte Zustimmung konnte ich für diese Provokation selbstverständlich nicht erwarten. Wollte ich auch gar nicht!

Aber zwei Dinge sind mir noch sehr wichtig:
1. Jede Art von persönlicher Beleidigung lag mir fern.
2. Falls mein augenzwinkernd gemeinter und ausdrücklich als Satire angekündigter Seitenhieb als Ermunterung für Neonazis verstanden wurde, tut mir das aufrichtig Leid.
Genau das Gegenteil ist der Fall: Ich wollte nochmal ins Gedächtnis rufen, was passiert ist und nie wieder passieren darf.
Zurück zur FPÖ. Zurück zur Protestkultur und zu den "Linken". Demos gibt es gegen die FPÖ, gegen Nazis, gegen den Akademikerball. Wenn es Ausschreitungen gibt, ist die Polizei Schuld. Oder die FPÖ. Oder die Polizei. Aber niemals sie selbst. Ein paar kaputte Fensterscheiben sind eben Kollateralschäden. Trifft ja nur ein paar Kapitalisten. Mir ist klar, dass dies eine unsägliche Vereinfachung ist. Es ist wichtig und richtig, gegen Fremdenhass aufzutreten. Wenngleich die Art und Weise des Auftretens entscheidet, ob - wie in Deutschland - mehrere tausend Bürger quer durch alle Schichten und Berufe an der Demo teilnehmen - oder nur ein paar hundert.Wo waren denn die vielen Demonstranten der Anti-Akademikerball-Demos, als vor zwei Jahren eine Gedenkveranstaltung an den Holocaust auf dem Heldenplatz stattfand? Es kamen nur wenige.

Und das erinnert mich an die Fußballkultur speziell in Österreich. Böse sind immer die anderen. Wenn Deutschland spielt, hält man immer zum Gegner. Wenn der FC Bayern spielt, hält man immer zum Gegner. Dann werden Statistiken ausgepackt, wie gemein und unfair die Schiris schon gegen den Gegner der Bayern gepfiffen haben, wie verwerflich es ist, wenn der Ex-Spieler des gegnerischen Vereins das Tor gegen denselbigen bejubelt. Bei Rückstand wird nicht die eigene Mannschaft angefeuert, sondern der Gegner mit Schmähgesängen bedacht. Böse sind immer die anderen. Was sind unsere eigene Werte? Was ist unser Teamgeist? Was sind unsere VORZEIGEPROJEKTE?

Ich erinnere mich an eine Demo für die Flüchtlinge, wo die Caritas verunglimpft wurde, die den Flüchtlingen angeblich nur Schaden zufügen. Jetzt ist die Caritas für den Betrieb eines Hotels verantwortlich, das von Flüchtlingen geführt wird. Ein Projekt, das Berührungsängste abbauen wird.

Mir fehlt ehrlich gesagt die Positivberichterstattung, ebenso das Hervorheben der eigenen Werte, der Grund- und Menschenrechte. In den Fernsehkanälen wird viel diskutiert, aber selten mit den Angesprochenen, viel häufiger über sie. Es werden populistische Themen wie Dschihad, Islamismus, Pograpscherei an die Tagesordnung gehievt, aber kaum Themen, die in die Tiefe gehen, geschweige denn, die Positives hervorheben.

Sicherlich ist die Boulevarddominanz in Österreich ein riesiges Problem. 70 % des Marktes werden von Zeitungen beherrscht, die ihr Themenfähnchen im Wind des Populismus drehen, die munter mithetzen, Stories erfinden, zuspitzen, übertreiben, zum Leidwesen einzelner Personen oder ganzer Bevölkerungsgruppen. Wenn die Lesekompetenz so schlecht bestellt ist, selbst bei Österreichern, dann wird die Kritik an den Rechtschreibfehlern der FPÖ wenig bewirken. Dann wäre viel wichtiger, die Lesekompetenz der potentiellen Leser ausgewogenener Zeitungen zu stärken, damit sie nicht mehr auf billige Meinungsmache des Boulevards angewiesen sind.

Aber um all diese Grundübel anzupacken, braucht man eine konstruktive Grundhaltung, einen Konsens unter den Linken. Anti-FPÖ-Demonstrationen bewirken anscheinend ziemlich wenig. Böse sind nicht nur die anderen, böse ist auch, wenn man selbst nichts tut, um das Gute hervorzuheben.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 209