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"Er hat Hitler gesagt" - der Eklat von Cannes

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Bei der Verleihung der "Goldenen Palme von Cannes" kam es bei der Pressekonferenz von Lars von Tier ("Breaking the waves", "Dancer in the dark", "Dogville", "Antichrist") zu seinem Film "Melancholia" zu dem Eklat, der für weltweite Empörung sorgte, und Israel und Argentinien den Film gleich wieder abbestellen ließen. Was war überhaupt passiert? Das erfuhr man leider nur in Teilen, denn in den Nachrichten wurde nur Lars von Triers Antwort abgespielt, nicht aber die Fragestellung der Journalistin - das ist der Knackpunkt!

Hier das komplette Video (leider simultan ins Französische übersetzt, zeigt aber die Frage der Journalistin und von Triers Reaktion):

 
Die englische Journalistin sprach ihn auf seine deutschen Wurzeln an, und ob darauf seine Vorliebe auf der Nazi-Ästhetik in seinen Filmenbegründet sei (es waren zwei Fragen, die erste mit den deutschen Wurzeln, die zweite bezüglich Nazi-Ästhetik). Mit anderen Worten: Sie implizierte "wer deutsch ist, sympathisiert mit den Nazis". Lars von Trier lachte und schüttelte den Kopf, als er die Frage hörte, danach folgten die Kommentare, die für Aufregung sorgten und ohne die vorausgegangene Fragestellung suggerierten, Lars von Trier sei ein Nazi-Sympathisant. Ich rezitiere Lars von Trier nachfolgend vollständig (für jene, die Youtube nicht abspielen können und für gehörlose Leser):

"No, I really wanted to be a Jew, and then I found out that I was really a nazi, you know. Because my family was german, Hartmann, ääh..., which also gave me some pleasure. So I'm kind of a ..., yeah....So I...what can I say..., I understand Hitler."

Bis hierhin macht Lars von Trier nichts anderes, als der Logik der Journalistin zu folgen: Ich hatte deutsche Wurzeln, also verstehe ich Hitler. Vielleicht hätte es Lars von Trier bei dieser Aussage bewenden lassen sollen, damit auch der letzte im Saal versteht, dass es sich um Ironie handelt. Aber Lars von Trier ist ja bekannt für seine Provokationen, also machte er weiter...und grinste dabei immer wieder unverblümt...

"But I....think he did some wrong things, yes, absolutely, but I can see him sitting in his Bunker, in the end."
(Kirsten Dunst flüstert hinter seinem Ohr: "Oh my god, this is so terrible").
"But I...there will come a point at the end of this (sagt er zu Dunst, und weiter zu den Journalisten:). No, I'm just saying I understand the man. He is not what we would call a good guy, yeah, but I understand much about him, and I sympathise with him a little bit. But come on! I'm not for the Second World War. And I'm not against Jews....Susanne Bier is..., no not even Susanne Bier (Gelächter der Journalisten), no that was also a joke. No, I am of course, very much for Jews, no not too much, because Israel is a pain in the ass. But ...still, how can I get out of this sentence?"
(Gelächter, einer von der Pressekonferenz:) "By another question....here is your salvation"

"No I just want to say about the arts of the...I'm very much for Speer. Albert Speer I like. He was also, maybe, one of Gods best children, but he has some talents, that was kind of possible for him to...Ok, I'm a nazi." (Lars von Trier grinst und schlägt symbolisch mit der Faust auf den Tisch)."
Auch der Hintergrund ist natürlich entscheidend, um Lars von Trier zu verstehen: Er ist mit einer Jüdin verheiratet und erzieht seine Kinder ebenfalls jüdisch. Der deutsche Schauspieler Udo von Kier sagt:

Er könne „mit Bestimmtheit sagen“, dass von Trier kein Nazi sei. „Genauso wenig wie er ein Jude ist. Das kann ich bezeugen, denn ich bin sein Freund, seit wir vor 22 Jahren das erste Mal zusammen gearbeitet haben.
Quelle:http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1896757/Udo-Kier-bricht-eine-Lanze-fuer-Lars-von-Trier.html

Fazit: 

Lars von Trier ist weder Antisemit noch Rassist, geschweige denn ein Nazi. Die Journalistin vereinfachte in ihrer Fragestellung sehr massiv, da sie implizierte, Lars von Trier sympathisiere aufgrund seiner deutschen Wurzeln mit der Nazi-Ästhetik. Er antwortete darauf ironisch, wobei später in vielen Nachrichten und Youtube-Videos (bis auf den gezeigten französischen Mitschnitt und einzelne englische Mitschnitte) nur Lars von Triers Äußerungen, aus dem Zusammenhang gerissen, gezeigt wurden. 

Lars von Trier wurde meiner Ansicht nach zu Unrecht an den Pranger gestellt, eher hätte man die Journalistin fragen sollen, ob so ein Schwarzweiß-Denken heute noch zeitgemäß ist, und ob nicht Lars von Trier, sondern England ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung hat:  


Mich hat damals Lars von Triers Musicaldrama über und gegen die Todesstrafe, "Dancer in the dark",  (mit Björk, Peter Stormare, David Morse, Catherine Deneuve) sehr berührt und bewegt. Daher diese Notiz hier zu dem "Eklat". Israel zeigt hier übrigens ähnliche Resistenz gegen Ironie und Satire wie die arabischen Länder bei den dänischen Mohammed-Karikaturen.

PS: Mich erinnerte die Abservierung von Lars von Trier frappant an den inszenierten Rauswurf von Eva Herman, deren Thesen zur Familienpolitik und Äußerungen nach der "Love-Parade"- Tragödie in Duisburg ich zwar wenig abgewinnen kann, der Vorgehensweise von J.B.K. aber auch nicht (gut, wer dort hingeht, ist selbst schuld...). Dazu dieser gutgemachte Youtube-Beitrag von "Fernsehkritik.TV":


Halten wir fest: Wenn es um das sensible Thema Nationalsozialimus und Hitler (aber auch DDR) geht, muss man stark auf den Kontext achten. Häufig werden Aussagen aus den Zusammenhang gerissen und tendenziös wiedergegeben, auch den Hintergrund der Person, die die Aussagen tätigt, muss man beachten.

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