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Channel: Wiener Alltagsbeobachtungen
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Autofahren versus Radfahren in Wien

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Ein flammendes Interview der ZEIT mit Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher:

          weil Autofahrer auch noch eine andere Art von Freiheit genießen, eine Rechtsfreiheit. 
Im Gegensatz zu allen anderen Menschen dürfen sie die Umwelt straffrei verlärmen, verunreinigen und die öffentliche Sicherheit gefährden. Ein randalierender Betrunkener wird wegen Lärmbelästigung verhaftet, Autofahrer, die zu allen Tages- und Nachtzeiten unsere Häuser beschallen, werden akzeptiert. Würde ich als Fußgänger mit einer Dose krebserregende Substanzen versprühen, wäre das gesetzeswidrig. Tausende Autofahrer tun das täglich ungehindert und verkürzen die Lebenszeit von uns allen um durchschnittlich zwölf Jahre. 

Zumal auch Straßenlärm krank machen kann, nicht nur die Feinstaubbelastung. Motorradfahrer lassen ihre Maschine im Wohngebiet aufheulen, Autofahrer hupen um Mitternacht, in 30er Zonen mit uneinsehbaren Gassen wird bis zur nächsten Kreuzung gerast.

Wiener Lebensqualität
Nirgendwo habe ich die Dominanz der Autofahrer bisher so intensiv erlebt wie in Wien. Nirgendwo ist es so schwierig, die bestehenden, verkrusteten Strukturen aufzubrechen. Die grüne Beteiligung an der sonst rot-dominierten Wiener Stadtregierung ist ein erster Schritt, daran etwas zu ändern. Die Öffentlichkeitsarbeit der Grünen ist allerdings mehr als peinlich, so unbeholfen tappsig wie ein Problembär im Porzellanladen.

Am Stadtrand sind die öffentlichen Verkehrsmittel ausbaufähig, die Zusammenarbeit mit der niederösterreichischen Pröll-Regierung funktioniert suboptimal. Statt Ausbau der Park & Ride-Anlagen etwa im Wiener Süden und Anbindung über S-Bahn/Busse baut man lieber eine neue Schnellstraße (S1, Wiener Umfahrung). Die Verteuerung der Parkscheine und Ausbau der Parkpickerlzonen löst das Problem vieler Pendler nicht - sie sind zum Umstieg gezwungen, müssen aber weitere Wege in Kauf nehmen, wer bis spätabends in Wien arbeitet, hat u.U. keinen Bus mehr zurück zu seinem Parkplatz.

Pendler vs. Anwohner ist auch so ein ewiges Lied, denn über die Pendler wird sich beklagt, dass sie billiger und schöner wohnen, und die Lebensqualität in der Stadt mit dem hohen Verkehrsaufkommen beeinträchtigen. Pendler argumentieren wiederum damit, dass sie durch das Arbeiten in Wien "ihr Geld da lassen", und sich zu Unrecht stigmatisiert sehen. Beide Seiten sind irgendwie zu verstehen, nur hätte man sich noch vor den Gebührenerhöhungen gewünscht, dass ein klares Signal zum Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, nicht nur Verdichtung der Südbahn, sondern auch Wiederaufnahme/Verstärkung von "Randbahnen" und mehr Park & Ride -Anlagen gegeben wird.

Auch die Grünfärbung der Radwege kommt nicht gut an. Hätte man wenigstens Rot-Färbung gesagt, so denkt sich jeder, dass die Grünen ihre Regierungsbeteiligung farblich für die Ewigkeit eingravieren wollen. Eine starke Signalfarbe ist nunmal rot, und man findet diese auch in Randbezirken, etwa in Simmering oder Richtung Schwechat - warum nicht an etwas anknüpfen, was bereits europäischer Standard ist? Die Schönfärberei der Radwege ändert allerdings nichts am maroden Zustand des Wiener Radwegnetzes, wie ich bereits am Beispiel des Gürtelradwegs oder anhand einer Radtour durch Wien erläutert habe.

Signalfarben sind für mich ein wichtiger Aspekt zur Erhöhung der Sicherheit von Radwegen - dennoch werde ich einen grün gefärbten Radweg meiden, wenn er parallel zu parkenden Autos verläuft, und lieber die Straße benutzen. Es mutet paradox an, dass Autofahrer in Wohngebieten sicherer unterwegs sind, wenn sich plötzlich eine Autotür (auf dem Radweg) öffnet, oder ein Autofahrer an die Einmündung über den Radstreifen zur Kreuzung heranführt.

Und da ist auch schon die Wurzel des Übels sichtbar. Die gesamte Verkehrsinfrastruktur ist auf das Auto ausgelegt.
Gehsteige in ihrer heutigen Form sind doch ein Witz! Früher durfte der Fußgänger die gesamte Straßenfläche beanspruchen – 7000 Jahre lang! Während der letzten 50 Jahre haben wir den Fußgänger an den Rand gedrängt und wundern uns, warum diese Mobilitätsform verschwindet. Wir haben Strukturen gebaut, die die Menschen zum Autofahren zwingen!
Da ist die Mariahilfer Straße eine der wichtigsten und längsten Einkaufsstraßen Wiens, aber die Gehsteige können die Menschenmassen, die zwischen MQ und Westbahnhof hin- und herströmen, nicht mehr fassen.
Gegen eine Fußgängerzone sträuben sich Lieferanten, Anwohner und Pendler.

Die Straßenbahnen im Süden Wiens verschwinden unter der Oberfläche ("U-Straßenbahn"), weil sie sonst im Gürtelverkehr im Stau stünden. Busse und Straßenbahnen bekommen nur sehr langsam bevorzugte Ampelschaltungen, wodurch manche Linien ewig im Stau stehen (Linie 2, 6, 13A, 68A) - kein Wunder, dass viele Pendler und Anwohner das Auto bevorzugen (auch wenn man dort im Stau steht, aber man kann dabei Musik hören, rauchen und erfährt keine Platzangst wie in überfüllten Bussen, oder schwitzt sich zu Tode, wenn in den NFL-Garnituren die Klimaanlage ausfällt).

Radwege werden auf die Fahrbahn gepinselt, dadurch verschmälert sich die Fahrbahn der Autofahrer, die dann jene der Radfahrer einfach 'mitbenützen' - der Abstand zum Kotflügel und Seitenspiegel wird so manchmal gefährlich gering, erst Recht, wenn nebenan Fahrzeuge mit Überlänge parken, und man ausweichen muss.


Es ist einfach schwierig, als Fußgänger, der sich mit unklar markierten Radrouten den Platz mit Radfahrern teilen muss und als Radfahrer, der zwischen Hundstrümmerlboulevard (c - Sigi Maron) und parkenden Autos fahren muss. Wüste, untergriffigste Beschimpfungen von militanten Autofahrern (und Parteivertretern) sind die Folge, wenn gewagt wird, an diesem Zustand etwas zu ändern.

In diesem Sinne freue ich mich, dass der Kultursender Ö1 am Donnerstag, 23. Mai 2013, ein Radiokolleg zum Mitdiskutieren über das Radfahren initiiert hat: http://radiokulturhaus.orf.at/artikel/335764

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