Ich höre immer, man dürfe über das Verkehrsnetz der Wiener Linien nicht sudern, denn verglichen mit anderen Städten und Ländern sei es eines der besten der Welt. Das mag stimmen, die Dichte an Straßenbahnlinien ist unschlagbar, wenn sie auch nicht an das Prager Straßenbahnnetz heranreicht. Aber sich ständig mit anderen vergleichen hat noch nie jemandem geholfen. Eine Situation ist immer relativ zu jenen, die in dieser Situation sind, und nicht zu jenen, die damit nichts zu tun haben. Das gilt in vielen Lebensbereichen und auch im Öffiverkehr.
In den letzten Beiträgen habe ich geschildert, weswegen
Gratis-Öffis in Wien nicht funktionieren und warum die
Mariahilferstraße ein wegweisendes Projekt weg vom Autoverkehr ist.
Dieses Mal möchte ich mich konkreten Beispielen widmen, wo der öffentliche Verkehr an seine Kapazitätsgrenzen stößt und eine Taktverdichtung kaum mehr ohne gegenseitige Blockade möglich ist. Für alle Beispiele in Wien gilt: Das oberste Ziel muss die
Reduktion des Individualverkehrs sein! Ein Auto ist sinnvoll und auf dem Land unverzichtbar, aber in der Stadt sind viele Fahrten unsinnig und purer Bequemlichkeit geschuldet bzw. "weils immer so war", weil gefälligst jeder Haushalt ein Auto und auch einen Parkplatz braucht, etc.
Beispiel 1: Der Westen WiensEr wird der S45 und der U6 in Nord-Süd-Richtung durchzogen, die U3 macht von Ottakring einen Bogen nach Osten über den Westbahnhof und setzt sich weiter zum Stephansplatz fort. Was hingegen fehlt, ist eine
weitere Querverbindung zwischen S45 und U2. Unter der Woche platzen die Straßenbahnen, die diese Querverbindung bis jetzt übernehmen, aus allen Nähten, namentlich vor allem die
Linie 43, dann 44, 2 und 46. Der 44er und 46er werden durchwegs als Niederflur geführt, während 2 und 43 alternierend mit den alten, schadensanfälligen und nicht barrierefreien Garnituren fahren. Das führt morgens und abends dazu, dass sich Elternteile mit Kinderwagen in den barrierefreien Garnituren drängen.
Problematisch ist weiters, dass das Gleisbett der betroffenen Linien weitgehend mit dem Individualverkehr geteilt werden muss (Stau!), dass Parkplätze in den betroffenen Bezirken rar gesät sind und Autofahrer häufig das Gleisbett versperren (Stau!), und dass zahlreiche Ampelphasen, wo die Straßenbahnen eben nicht automatisch auf Grün geschaltet werden, einen zügigen Transport erschweren. Nicht selten sorgen die Straßenbahnfahrer selbst für Verspätungen, indem sie zu spät (!) kommende Fahrgäste noch einsteigen lassen und dadurch die Grünphase verpassen.
Wer mit der Linie 9 oder 10 zur U3 oder U6 fährt (weitere Nord-Süd-Verbindungen), steht ebenfalls oft längere Zeit an den Ampeln als dass er fährt. Für eine Weiterfahrt jenseits der Inneren Stadt oder nach Transdanubien sind die Straßenbahnlinien ohnehin die einzige direkte Quermöglichkeit.
In den engen Gassen ist eine Lösung schwierig:
- Individual- und Straßenbahnverkehr parallel laufen ginge nur über den Wegfall von Parkplätzen auf beiden Seiten, was angesichts der immanenten Parkplatznot nicht einmal Ansätze an Verständnis hervorrufen würde.
- Weitere Taktverdichtung lässt die Straßenbahnen selbst im Stau stehen, unterbrochen von genervten Autofahrern, die zwischen den Straßenbahnen eingeklemmt sind und nicht vorwärts kommen, und damit auch die Straßenbahnen vor der Einfahrt in die Haltestelle blockieren.
- Eine ausschließliche Bevorzugung der Straßenbahnen (oder Busse) an den Ampeln sorgt zwar für deren zügiges Weiterkommen, verursacht aber wieder Rückstau des Individualverkehrs und damit weiterer Bus- oder Straßenbahnlinien.
Einziger Ausweg ist der Bau einer
weiteren U-Bahn-Linie, die U5, die zwar seit längerem immer wieder zur Diskussion kommt, aber aus Kostengründen auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wird.
Eine mögliche Routenführung könnte so aussehen:
Sie würde auf der Trasse der Linien 43 und 44 bis zum Rathaus geführt, ab dort über die bestehende Trasse der U2 zum Karlsplatz und weiter bis Rennweg (S-Bahn-Anschluss) bis zur Gudrunstraße, wo derzeit im Umfeld des Hauptbahnhofs ein neuer Stadtteil (Sonnwendviertel) entsteht.
Die U2 würde dafür ab dem Rathaus weiter zur Neubaugasse ausgebaut und damit das Nadelöhr Mariahilfer Straße (und den 13A) entlasten, nochmals die U4 kreuzen und auch das schlecht angebundene Business Center um den Wienerberg anbinden.
Die Grünen sind ja tendenziell eher pro Straßenbahn eingestellt, ich auch, aber beide Verkehrsmittel haben ihren Sinn:
U-Bahnen sind für jene günstig, die
weite Strecken zurücklegen (z.B. der Weg von der Wohnung zur Arbeit), die
Bim eignet sich ideal zum
Einkaufen in der Umgebung, da die Wege wesentlich kürzer sind. Eine U5 würde also den täglichen Pendlerverkehr entlasten und die Bim könnte wieder als Einkaufstransportmittel genutzt werden. Unter der Erde lässt sich zudem ohne Kollision mit dem Individualverkehr (ich bin realistisch: der Autoverkehr wird trotz hoher Spritpreise nicht so schnell abnehmen) eine Taktverdichtung erreichen und Spitzen zur Rush Hour abfangen.
Beispiel 2: Die MahüAltbekanntes Problem, schon zigfach durchdiskutiert. Die U3 platzt - auch dank der Fußgängerzone - zur Rush Hour aus allen Nähten, ist sie doch die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen Westbahnhof und Stephansplatz (City), und neben den Pendlern auch von Urlaubern und Shoppingtouristen stark frequentiert.
Die einzige
querendeöffentliche Verbindung, die als Bindeglied zwischen den inneren Bezirken und der U4 bzw. in weiterer Entfernung zum Hauptbahnhof fungiert, ist der ominöse 13A, der sich durch enge, oft zugeparkte Gassen (meist Einbahnstraßen) quälen muss. Früher wurden die Passanten mehrfach abgeholt, durch die Linie
13 (1974 eingestellt und durch die Buslinie 13A ersetzt), sowie durch die Linien
52 und
58, die im Zuge des U3-Baus eingestellt wurden, und vom Westbahnhof über die Mahü weiter zum Ring fuhren.
Im Hinblick auf die FuZo wären Straßenbahnlinien aufgrund der
verkürzten Wege sicher zu bevorzugen, sozusagen als
autarke Verbindung zwischen Gürtel und Ring, während die U3 mehr als
Langstreckenverbindung fungiert - zwischen Westbahnhof und Innenstadt bzw. zum Bahnhof Wien-Mitte.
Ob eine Reaktivierung des 13er
nach dem Umbau in eine Fußgängerzone (derzeit nur provisorisch) überhaupt noch möglich ist, sei dahingestellt.
Beispiel 3: Der zehnte Bezirk Ein stiefmütterliches Dasein fristet der Süden Favoritens. Die Gebiete zwischen S-Bahn/U6 und U1 sind querverlaufend bis auf die Linie 6 ausschließlich durch Busse erschlossen, längs verlaufen die Straßenbahnlinien 67 und 1. Problematische Wohnbezirke sind die
Stadtentwicklungsgebiete (!) ohne U-Bahn-Anschluss, nämlich der Monte Laa und der Wienerberg, wo mehrere zehntausend Menschen leben.
Sie sind auf Busverbindungen angewiesen, die in beide Richtungen durch viele Haltestellen und Stehzeiten an Ampeln EWIG brauchen. Die U1-Verlängerung nutzt vornehmlich dem Stadtentwicklungsgebiet Violapark (mittlerer Kreis) etwas, das in unmittelbarer Nähe zum Horr-Stadion entsteht.
Hier besteht durchaus noch Potential, die Verbindungen durch neue Straßenbahnlinien zu verbessern, da etwa am Wienerberg genügend Platz für einen vom Individualverkehr getrennten Gleistrog wäre. Eine querende Straßenbahnlinie könnte U6 und (verlängerte) U1 verbinden, ebenso gibt es Überlegungen, die Linie 67 umzuleiten oder die Linie D über das neu entstandene Sonnwendviertel bis zum Monte Laa zu führen.
Quelle der Stadtpläne (farbliche Beschriftungen durch mich):
http://www.wien.gv.at/stadtplan/Zusammenfassung:Die Kapazitäten der öffentlichen Verkehrsmittel sind in Wien an den Grenzen angelangt: Die Stadt wächst in den Randbezirken stark, die günstigen Öffis bewegen umwelt- und sparbewusste Menschen zum Umstieg, und zwingt gleichzeitig durch Parkpickerl und verkehrsberuhige Maßnahmen ebenfalls zum Umstieg in die Öffis. Die S-Bahn-Stammstrecke zwischen Wien-Meidling und Wien-Floridsdorf wird in Spitzenzeiten alle 3 min frequentiert - mehr geht nicht. U1 und U6 kommen ebenfalls alle 2-3 Minuten, auch da ist kaum noch Spielraum. Die U4 leidet durch die sanierungsbedürftige Strecke unter chronischen Ausfällen, die U2 entlastet vor allem die Ringstraßenbahnen (wo durchaus eine Taktverdichtung möglich, aber nicht notwendig wäre).
Im Westen von Wien blockieren sich Individual- und Straßenbahnverkehr, im Süden Individual- und Busverkehr, entlang der Mariahilfer Straße reicht die U3 offenbar nicht aus, um die Frequentierung des 13A abzufedern. Hier blockieren sich alle gegenseitig, nebst Individualverkehr, der bloß die Mariahilfer Straße queren will, ohne auf Gürtel oder Ring ausweichen zu müssen.
Nimmt man alle Probleme zusammen, dann kann die Bewältigung der wachsenden Bevölkerung nur erreicht werden, indem man den Autoverkehr schrittweise eindämmt. Das schafft Platz für Kapazitäten bei bestehenden Linien, die an der Oberfläche (Bus und Bim) verkehren (verringerte Staugefahr), und ermöglicht mitunter auch neue Linien, ohne ein Verkehrschaos hervorzurufen. Der Ausbau der U-Bahn-Linien (inkl. U5) ist im Hinblick auf den Pendlerverkehr notwendig, während (leise und moderne) Straßenbahnlinien die Attraktivität einer Einkaufsstraße erhöhen.
Und zu allerletzt: Es gibt Carsharing, Car2go, Transporte mit Radkurieren, Citybike und weitere Möglichkeiten, auf ein eigenes Auto oder einen Lieferwagen (der relativ wenig transportieren soll) verzichten zu können.