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Wahlanalyse eines Fremden

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30. September, 22.44, vorläufiges Endergebnis laut ORF bei 75 % Wahlbeteiligung, inkl. der meisten Wahlkarten. Am Donnerstag wird das endgültige absolute letzendliche Endergebnis bekanntgegeben, dann werde ich die Liste hier aktualisieren:








SPÖ 26,9
ÖVP 24,0
FPÖ 20,6
BZÖ 3,5
Grüne 12,3
Frank 5,7
NEOS 4,9

Das ist Demokratie, damit muss ich leben. Rational ist nichts davon, das ist Österreich.

Parteienlandschaft in Österreich

In Österreich existieren drei Lager: Die Linken, die Bürgerlichen und die Liberalen.
  • Die SPÖ ist durch jahrzehntelange große Koalitionen soweit in die bürgerliche Mitte vorgerückt, dass sie zunehmend weniger die Interessen der Arbeiter und der Minderheiten vertritt
  •  DieÖVP befindet sich - Glück im Unglück - soweit rechts der Mitte, dass sie Hardliner-Positionen des rechten Rands übernimmt und den Parteien im extremen Spektrum die Stimmen abgräbt.
  • Die Grünen sind weiterhin sie selbst, wenngleich sie durch die Anbiederung an die ÖVP und Stronach in den Landesparlamenten zwar Regierungsfähigkeit demonstrieren, aber auch ihre Stammklientel vergrault. 
Abseits dieser Parteien existiert nur ein starker nationalliberaler Flügel:

Die FPÖ ging 1956 aus dem Verband der Unabhängigen hervor, ein Sammelbecken für Altnazis (gegründet 1949). Von der FPÖ gab es seither immer wieder wirtschaftsliberale Abspaltungen: Das Liberale Forum (LiF, 1993), das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ, 2005) und Team Stronach (2012 als Abspaltung des BZÖ hervorgegangen). Die NEOS bestehen aus einem Wahlbündnis von LiF und Juli (Jungliberale) - ihr Gründungsmitglied Matthias Strolz war parlamentarischer Mitarbeiter bei der Vorarlberger ÖVP.

Wie man sieht, entstehen neue, parlamentsfähige Parteien vorwiegend im rechtsliberalen Sektor. Von den Grünen abgesehen gibt es keine starke Linke wie in Deutschland, obwohl im Gegensatz zu Deutschland die KPÖ nicht verboten ist. Auf KPÖ, Piraten, Sozialistische Linkspartei (SLP) und weitere Parteien am linken Rand entfallen aber insgesamt weniger als 4 % der Stimmen: eine Teilnahme am Nationalrat undenkbar.

Zuletzt ist da noch die Gruppe der Nichtwähler, wo ich meine ursprüngliche Ansicht etwas revidieren muss, denn viele Nichtwähler bleiben - no na net - aus Frust zuhause, und möglicherweise hätten die radikalen Ränder noch mehr Stimmen, läge die Wahlbeteiligung deutlich höher. 

Das sind die Rahmenbedingungen, erklärt aber immer noch nicht die Gretchenfrage, die viel meiner Landsmänner und Landsfrauen stellen, wenn sie das erste Mal in Österreich zu Besuch oder eingewandert sind:

Warum wählen so viele Österreicher rechts? 

Am liebsten möchte ich ja antworten, dass die FPÖ gar nicht rechtsradikal oder rechtsextremistisch sei und mit der NPD etwa nicht vergleichbar ist. Das ist leider nur die halbe Wahrheit.

Rechtsextremes Gedankengut bei der FPÖ

Wie beim Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf, der Mitglied in einer rechtsextremen Burschenschaft ist und dessen Mitarbeiter bei neonazistischem Versandhandel Artikel bestellen; wie bei zahlreichen, hochrangigen (Bürgermeister, Abgeordnete) FPÖlern, die in der Öffentlichkeit immer wieder durch Nazisager, homophobe Äußerungen und sonstige Aktionen auffallen, die in Deutschland sofort einen Aufschrei hervorrufen würden; durch aggressiven Anti-Ausländer-Wahlkampf, dem Kampf gegen (vermeintliche) "Scheinasylanten" und mit Aussagen wie "Umvolkung", "Bevölkerungsaustausch", "Import von kriminellen Ausländern"; die das Leid der Juden unter dem Austrofaschismus und Nazi-Österreich mit Aussagen wie "Wir sind die neuen Juden" und "Das war wie die Reichskristallnacht" ad absurdum führen, wenn es zu - zugegeben gewalttätigen - Ausschreitungen bei Linksdemos gegen den WKR-Ball kommt, einen Akademikerball, der von der FPÖ organisiert wird und zu dem zahlreiche rechtsextreme Burschenschaften und namhafte Mitglieder rechtsextremer Parteien in Europa kommen, der Ball findet dann ausgerechnet in der für das Land repräsentativen Hofburg statt; wenn zu Wahlkampfveranstaltungen der FPÖ Jugendliche den Hitlergruß erheben und dies weder medial noch in der Bevölkerung zum Aufschrei veranlasst; wenn - wie vom BZÖ im NR-Wahlkampf 2008 mit Haider als Titelbild plakatiert wird "Österreich den Österreichern"; beredtes Zeugnis liefert auch die Website des österreichischen Unternehmers, SPÖ-Mitglied und ehemaligen Präsidenten der Israelischen Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant, ab.

Mangel an signifikanten Protestparteien in Österreich

Es kann folglich also niemand, der sich ein wenig über Hintergründe informiert, behaupten, die FPÖ hätte keinen braunen Dreck am Stecken. In Deutschland ist die Schlussfolgerung klar: Die NPD wird als Protestpartei - glücklicherweise - kaum ernstgenommen, bei der letzten Bundestagswahl hat man die AfD gewählt, die eher zum rechtsliberalen Flügel der CDU zählt, und bei der Ideen, Asylanten das Recht auf Arbeit zu geben, eher als "Ausländer als Nützlinge für die Wirtschaft" interpretiert werden müssen, weniger, ihnen das Grundrecht (auf Arbeit) aus ethisch-moralischer Verpflichtung zu gewährleisten. Abseits der AfD existiert mit der Linkspartei (die sich aus der ehemaligen SED-PDS der ehemaligen DDR und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, WASG zusammensetzt) eine starke linke Protestpartei, die Missstände aufzeigt, wenngleich über Lösungsvorschläge natürlich gestritten werden darf. In Österreich fehlt diese linke Protestpartei schlichtweg, die Grünen sind offenbar zu sanft.

Rolle der Berichterstattung in den Medien

Auch das ist nicht die eigentliche Ursache für die Dominanz fremdenfeindlichen Gedankenguts in Österreich. Sicherlich spielen die Medien eine wichtige Rolle, da der Boulevard in Österreich, anders als in Deutschland, eine tragende Rolle einnimmt. Doch selbst Qualitätszeitungen berichten bisweilen tendenziös, wie DiePresse über die Einführung einer Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße (auf Twitter unter den Hashtags #FuZo #BeZo und #Mahü zu finden). Tendenziell negativ wird über Reformvorhaben, über Proteste und Demonstrationen berichtet - ganz schlecht kommen dabei Akademiker, Zuwanderer und Flüchtlinge weg. Visionen, rationale Argumente und unwiderlegbare Fakten haben es in Österreich schwer, auf fruchtbaren Boden zu fallen. Die Piratenpartei etwa erreichte trotz NSA-Überwachungskandal und Vorratsdatenspeicherung in Österreich weniger als Prozent der Stimmen. Sie war in den Medien schlichtweg nicht präsent - das Thema hat auch nicht wirklich jemanden interessiert.

Geschichtsverständnis

Österreich hinkt mit der Aufklärung seiner Mitwirkung (nicht nur als Opfer) in der NS-Zeit hinterher. Wer sich heute auf Wiens Friedhöfen umschaut, etwa im Zentralfriedhof, sieht vielfach verfallene, schlecht gepflegte, beschädigte oder bestohlene jüdische Gräber - erst jetzt subventioniert die Stadtregierung den Erhalt der Gräber. Einen ausführlichen Artikel zur Aufarbeitung der Nazizeit in Österreich, zu Re-Austrifizierung und Umbenennungen von Denkmälern hat Presse-Journalist Manfried Rauchensteiner hier geschrieben - zeitlos aktuell. Wenn ich meinen Geschichtsunterricht in Deutschland und jenen in Österreich, den ich vom Hörensagen kenne, Revue passieren lasse, dann wird in Deutschland mehr getan, während man in Österreich die Zeit des Austrofaschismus übergeht.

Die jungen Wähler 

Problematisch an einem Wahlrecht ab 16 ist die mangelnde geistige Reife und politischer Bildung in diesem Alter. Es fehlen entsprechend zeitgemäße Fächer wie Medienkompetenz und politische Bildung. 

Quelle: APA/ORF-Wahlbefragung/SORA/ISA - Details hier
Die Altersstruktur der Wähler zeigt, dass 30 % der Wähler unter 29 die FPÖ wählen, davon ist die Mehrheit männlich, in der Lehre tätig und besitzt keinen höheren Schulabschluss.

Perspektivlosigkeit und Reformstau

Nun haben wir geklärt, warum die FPÖ nicht als rechtsradikale Partei wahrgenommen wird. Es erklärt allerdings nicht, warum sich Österreicher für Stronach entscheiden, der nicht angegurtet bei der ORF-Wahlfahrt für die Todesstrafe ist (schlechte Vorbildfunktion und moralisch verwerflich), und warum sie der FPÖ mit ihrem absurden "Nächstenliebe"-Wahlkampf auf den Leim gehen, deren Verwicklung in die Hypo Alpe Adria-Causa dem Steuerzahler sieben mal mehr  kostet als er bisher für Griechenland aufgewandt hat.

Der Schlüssel ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit: Noch nie war es für Jugendliche so schwierig, einen gesicherten Arbeitsplatz zu finden. Niedriglohn- und Leiharbeitersektor schießen wie Schwammerl aus dem Boden. Familie gründen, sesshaft werden, eine sichere Pension, die zum Leben reicht - darauf weiß die Politik derzeit keine Antwort. Strache versteht es geschickt, die Akademikerfeindlichkeit in Österreich zu nutzen, um Akademikerberufe (bzw. Studium) und Lehre/Ausbildung gegeneinander auszuspielen. Arbeitslosenzahlen in Österreich sind deswegen so niedrig, weil die Lehrlinge in Ausbildungs- und Fortbildungskursen verschwinden. 86 % der Hauptschulabgänger erfüllen die Mindeststandards nicht, die der Abschluss voraussetzt.

Weiters sträuben sich die Konservativen und Blauen weiterhin gegen das Schreckgespenst Gesamtschule als Zwangsschule, obwohl es gerade die Bildungsschancen der Kinder der sozial schwächeren Eltern fördern würde. Die Grünen sind außerdem für ein weiteres verpflichtendes Jahr Kindergarten, was die ÖVP als Zwangskindergarten abtut.

***

Migration als Totschlagargument 

Es gibt gute Gründe, auf mehr Kindergarten, Gesamtschule, spezifische Förderungen und professionellen Sprachunterricht in der Muttersprache zu setzen: Der Migrantenanteil steigt stetig und das ist per se nichts Schlechtes, auch wenn anders dargestellt wird. Zu selten wird über Talente, Potentiale und schlichtweg positive Zahlen aus dem Bereich Migration (der eigentlich Inklusion heißen müsste, tatsächlich aber die Bedeutung von Segregation hat, wenn man an das neue Staatsbürgerschaftsgesetz denkt) berichtet. Nur hat man in der Vergangenheit Fehler gemacht, weil man davon ausging, dass die meisten Gastarbeiter wieder in ihrer Heimatland zurückkehren. Man hat sich nicht genügend um Inklusion bemüht und inzwischen sind schon 20 pakistanische Flüchtlinge, die für ihre Grund- und Menschenrechte aufbegehren, zu viel.

Europa und Griechenland

Wie bereits oben geschrieben, kosten autochthon verursachte Skandale, ob Spekulationsskandal in Salzburg oder Hypo Alpe Adria, dem Staat Österreich (und damit dem Steuerzahler) mehr als die Griechenlandhilfe, was letztere jetzt nicht rechtfertigen soll. Was doch immer mehr Menschen sehen, aber weder ÖVP, SPÖ noch Grüne noch die deutschen Volksparteien zugeben wollen: Gerettet werden Banken, nicht Menschen. Hier geht es nicht um die Sanierung Griechenlands oder anderer Pleitestaaten, sondern darum, gerade jenen Bevölkerungsanteil, der am allerwenigsten etwas für die Krise kann, totzusparen. Das lässt die Jugendarbeitslosigkeit weiter steigen, die Menschen können sich keine Krankenversicherung mehr leisten, bzw. werden nicht einmal mehr behandelt. Aus der Wut resultiert Extremismus, Neonazis rückerobern die Macht. Sündenböcke werden gesucht: Muslime, Juden, Roma - Migranten generell. Das Geld der Reichen wird nicht angetastet - zu stark der Filz, das angewiesen sein auf Korruption und die Furcht vor der Steuerflucht.

Barrierefreiheit, Überwachungsstaat und Klimawandel unwichtig

In meinen Augen denken die Menschen (generell) schasaugert, wenn es um Zukunftsthemen geht.

  • Barrierefreiheit: 

Über 600 000 Menschen in Österreich haben eine "starke Beeinträchtigung". Der öffentliche Bereich ist erst zu 40 % barrierefrei. Im öffentlichen Verkehr gibt es viel Nachholbedarf, erst recht, was Geschäfte und Lokale betrifft. Beispiel: Das Wiener Verkehrsnetz besitzt zu wenig Rolltreppen, die abwärts führen - die vorhandenen Aufzüge reichen nicht aus, um dieses Manko zu kompensieren. Stiegen hinaufsteigen kostet zwar mehr Kraft, hinabsteigen geht dafür stärker in malade Knie. Aufzüge sind nicht nur für Rollstuhlbenutzer notwendig, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen und für Radfahrer. Es gibt zu wenig Anerkennung für Pflege, für Altenheime, für Handicap im Job. Die Gesellschaft altert, jeder von uns kann einmal auf Barrierefreiheit angewiesen sein.

  • Überwachungsstaat:

Medienkompetenz ist wichtig, um die Sammelwut des Staates, der Firmen, von Apps und von sozialen Netzwerken zu begreifen. All das, was von uns gespeichert wird, bleibt harmlos, bis es missbraucht wird. Die Hackergruppe Anonymous zeigt auf, was passiert, wenn sensible Daten in die falschen Hände geraten. Die Transparenz setzt leider nicht beim Staat, sondern beim Bürger an.

  • Klimawandel, Natur & Umwelt: 

Der Klimawandel lässt sich nicht losgelöst von Natur & Umwelt betrachten: Der Eingriff des Menschen in die Natur durch Landwirtschaft, Flächenversiegelung und steigendem Versicherungswert der (Konsum-) Güter potenziert die Gefahren bei dem, was sich landläufig Unwetter nennt. Ein Hochwasser, das sich kilometerweit ausbreiten kann, ohne Siedlungen und Ackerflächen zu überschwemmen, ist harmlos. Wir müssen damit leben, dass das, was früher keine Naturkatastrophe war, durch das bloße Dasein des Menschen zu einer wird. Wir können den Klimawandel nicht aufhalten, er ist eine wissenschaftliche Tatsache. Da wir nicht genau wissen, wie sehr wir ihn beeinflussen, wissen wir auch nicht, ob unsere Bemühungen, ihnen abzumildern, überhaupt wirksam sind, geschweige denn, mit welcher Verzögerung dies eintritt. Ihn schlichtweg zu ignorieren ist aber, von nihilistischer Herangehensweise abgesehen, der falsche Weg. Präventivmaßnahmen sind wichtig. Vergessen wird bei allen Diskussionen über Kohlendioxidausstoß und Erderwärmung, dass unsere Ressourcen endlich sind und ein sparsamer Umgang schon deswegen notwendig ist. Der Krieg um Wasser, Öl und Landwirtschaftsflächen hat bereits begonnen. Leider ist das Ende der Ressourcen generationenweit entfernt, und so weit denken die meisten Menschen nicht, ja, soweit denken nicht einmal Eltern, die alles dafür tun, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Wirklich alles?

Fazit: 

Ich habe den Bogen jetzt weit gespannt - von der Parteienlandschaft über den rechten Flügel bis zu den brennenden Themen, bei denen sich die Große Koalition seit dem Reaktorunfall schwarzblau gegenseitig in den Stillstand treibt. Der Mangel einer echten, linken Alternative bzw. einem starken linken Bündnis, das nicht daran interessiert, bloß Bashing der Rechten zu betreiben (wie im Fußballstadion die Schmähgesänge der gegnerischen Mannschaft), sondern tatsächlich Finger in die Wunden der Gegenwart zu legen und mit rationalen Argumenten nach Lösungen sucht, wiegt schwer - jedenfalls aus der Sicht eines Deutschen.

SPÖ 26,9
ÖVP 24,0
FPÖ 20,6
Grüne 12,3
Frank 5,7
NEOS 4,9


Quo vadis? 

Rotschwarz oder schwarzblaustronach - darauf läuft es hinaus. Und wenn die Roten in die Koalitionsverhandlungen mit schwarz gehen, hat schwarz wieder einmal die besseren Karten, könnten sie doch im Falle eines Scheiterns ihrer Forderungen/Ansprüche mit schwarzblaustronach drohen. Beide Varianten sind irgendwie... arg. 

Leseempfehlungen: 

Weil das nun doch sehr lang geworden ist, hier noch ein paar (kürzere) Blogaufarbeitungen (Auswahl):

Jahrzehnt der sozialen Kälte

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Lange, bevor wir die Auswirkungen des Klimawandels mit voller Härte spüren werden, macht sich soziale Kälte über dem Kontintent breit, die unsere schwer erkämpften Menschenrechte auf eine harte Probe stellt.


Großbritanniens Premier David Cameron denkt über einen Austritt aus der europäischen Menschenrechts-Carta nach, um "illegale" Migranten leichter abschieben zu können.Wir erinnern uns auch an die geplante Zensur des Internets durch Filter, die sich angeblich nur gegen Pornographie richten.

In Frankreich demonstrieren zehntausende gegen die Ehe von gleichgeschlechtlichen Menschen, die Stimmungsmache gegen Homosexuelle nimmt zu, auch Roma sind nicht sonderlich beliebt, sie werden rascher abgeschoben statt man sich um Inklusion bemüht.

Deutschland's rechtsradikale NSU-Terrorzelle ist ebenfalls noch in frischer Erinnerung. Wir denken auch daran, wie der Hungerstreik der Flüchtlinge in München als letzter Ausweg, Asyl zu bekommen, von der Polizei niedergeschlagen wurde. Die Argumentation der bayerischen Landesregierung, maßgeblich aus der CSU bestehend, kommt uns bekannt vor: "Wir lassen uns nicht erpressen. Recht muss Recht bleiben!" Durch den Rechtsruck bei der vergangenen Bundestagswahl mit fast absoluter Mehrheit der CDU wird sich wenig an der stringenten Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik ändern.

In der Schweiz dürfen Flüchtlinge nicht ins Freibad, auch die Roma werden als Kriminelle abgestempelt.

Ungarn macht fast täglich Schlagzeilen, von abgedrehter Wasserversorgung für Roma bei der ärgsten Sommerhitze über salonfähige Judenhetze bis zur Verbannung und Bestrafung der Obdachlosigkeit.

Die Integrationsministerin von Italien, Cécile Kyenge, ist wiederholt rassistischen Äußerungen ausgesetzt und nennt gleich ein wichtiges Ziel ihrer Arbeit:
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dafür zu sorgen, dass die Kinder die in diesen Familien geboren sind oder noch vor dem ersten Lebensjahr in Italien ankommen, später dieselben Chancen haben wie die Kinder italienischer Familien.
Das Flüchtlingsdrama vor Lampedusamit über 300 Toten gibt beredtes Zeugnis über den Zustand der Flüchtlingspolitik in Italien ab. 

In Kroatien haben es Homosexuelle besonders schwer, immerhin 700 000 Kroaten sind gegen die Ehe gleichgeschlechtlicher Menschen, in Serbien hat man die Homosexuellen-Parade aus Furcht vor Übergriffen gleich ganz verboten. Vom Umgang mit Homosexualität in Russland, mit strengeren Gesetzen, gar nicht erst zu reden.

Rumänien kämpft immer noch mit seiner Vergangenheit, mit mangelnder Aufklärung über die Mittäterschaft während dem Holocaust.

Damit kämpft auch Österreich, denn jeder fünfte wahlberechtigte Österreicher hat aus Protest nicht Links gewählt, wie es in anderen Ländern "auch"üblich ist, sondern die FPÖ, die von Kellernazis durchsetzt ist. Selbst wenn man den Recherchen des jüdischen Betreibers der Kellernazi-Seite nicht glauben schenken will, reicht ein Blick auf die aktuellen Forderungen der FPÖ, um des Geistes Kind zu entlarven. 
  • Sei es die Austrittsforderung aus der EU, von der Österreich profitiert hat, aber gefälligst keine Solidarität zu leisten hat.
  • Sei es die Anbiederung bei der serbischen Community, um gegen Türken zu hetzen (mit wenig Erfolg, nur etwa 6 % der Serben wählen FPÖ).
  • Sei es die Verschärfung des Asylrechts, die Instrumentalisierung der Flüchtlinge der Votivkirche für schmutzige Plakatkampagnen.
  • Sei es Straches Würdigung von Otto Scrinzi, Gründungsmitglied der VdU, Vorgängerpartei der FPÖ, ehemaliges NSDAP-Mitglied und SA-Sturmführer, der sich nie vom Nationalsozialismus distanziert hat.
Im Wahlprogramm der FPÖ (Quelle findet jeder selbst) finden sich folgende Forderungen:


  • Keine weitere Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für Arbeitskräfte aus dem Osten
  • Einführung des zeitlich begrenzten Gastarbeitermodells samt Rückführungsmöglichkeit bei Dauerarbeitslosigkeit bzw. hohen Arbeitslosenzahlen
  • Volle Sozialleistungen erst bei Staatsbürgerschaft und Sozialwohnungen nur für Österreicher
  • Ohne Deutschkenntnisse keine Teilnahme am Normalunterricht sowie Begrenzung der Ausländer pro Klasse
  • Steuerliche Entlastung für österreichische Mehrkindfamilien durch ein neues Familiensteuer-Modell
  • Nein zur Gesamtschule– Qualität statt Gleichmacherei (und damit weitere Selektion besonders jener Kinder aus Familien, die sich Nachhilfe und Kinderbetreuung nicht leisten können)
  • Asyl ist nur Schutz auf Zeit, solange Gefahr oder Verfolgung droht – bei Asylmissbrauch wird sofort abgeschoben
  • Kein Recht auf Asylanträge in Österreich für alle, die über einen sicheren Drittstaat kommen oder deren Antrag schon in einem anderen sicheren Land abgelehnt wurde
  • Keinen Platz für den radikalen Islamismus – Stopp der Zuwanderung von außerhalb Europas
  • Nein zum EU-Beitritt der Türkei
  • Förderung der deutschen Sprache insbesondere in den öffentlich-rechtlichen Medien
  • Bekenntnis zu unserer Sprache und unseren Werten als Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft
Rassismus, Überfremdungsangst, unmenschliche Vorgehensweise gegen Flüchtlinge im eigenen Land nur der FPÖ zuzuschreiben, wäre aber viel zu einfach gedacht. Denn: Die VP-Innenministerin hat beschlossen, nur christliche Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Die InnenministerInnen der ÖVP verweigern in aller Regelmäßigkeit das humanitäre Bleiberecht bei Härtefällen, sie verweigern sich der Reformierung des Asylrechts und die SPÖ macht mit, sie stellt schließlich den Kanzler. Und wie SPÖ-Clubobmann Josef Cap in einem PRESSE-Interview zugab, geht es bei den pakistanischen Flüchtlingen in der Votiv- bzw. Servitenkirche ja nur um "Wirtschaftsflüchtlinge". Sie kommen halt zufällig aus demselben Teil von Pakistan wie die Kinderrechtsaktivistin, die von den Taliban bei einem Anschlag schwer verletzt wurde.

Vieles, was in letzter Zeit in Österreich geschieht, ist im "antifaschistischen" Deutschland undenkbar. Damit möchte ich die Neonaziverbrechen in Deutschland nicht beschönigen. Auch in Deutschland verstärkt die Hartz4-Armut und die Abwertung des Mittelstands die Furcht vor Überfremdung, auch in Deutschland hat man es versäumt, die Gastarbeitergeneration zu integrieren. Gerade in Deutschland gibt es besonders viele Nazis in Regionen mit wenig Migranten. In Deutschland hat aber bis auf eine rechtspopulistisch angehauchte Partei (AfD) kein rechtsradikales Gedankengut Platz in der ersten Kammer des Parlaments. Dort sitzen weder Mitglieder einer rechtsextremen Burschenschaft noch eine strafrechtlich verurteilte Politikerin.


In Österreich werden diese Missstände als alltagstauglich akzeptiert, sie sind weder einen Aufschrei noch ernstgemeinte Rücktrittsaufrufe wert. Zurück treten Politiker in Österreich ohnehin nur in Gestalt von Personalrochaden.

Austria Gaga

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Da gründet ein austrokanadischer Milliardär eine Partei, die er nach seinem Namen benennt. Inhaltlich irgendwo zwischen liberal und populistisch, natürlich eher rechts als links. Bestehen tut die Partei aus ehemaligen Mitgliedern einer anderen Partei, die gerade auf dem absteigenden Ast ist. Mit Größenwahnsinn lässt der Parteigründer verlauten, bei der Nationalratswahl Erster werden zu wollen. Tatsächlich erreicht die Partei nur knapp 6 %. Das reicht zwar für den Einzug (sie saßen auch davor schon drin, weil Mandatare übergelaufen waren, sehr demokratisch), aber nicht für Zweierkoalitionen oder gar den Kanzler. Weil der Gründer nun sauer ist, wirft er sein Spielzeug wieder weg. Erst schmeißt er sämtliche Landeschefs raus, lässt Köpfe am laufenden Band rollen, dann versagt er die weitere Finanzierung und möchte die Kredite zurück, mit denen er die Landesparteien aufgepäppelt hat. Das Ende von der Geschichte: Knapp ein Jahr hat dieses Parteienkonstrukt durchgehalten, jetzt wird es sich wahrscheinlich auflösen. Den Friedensnobelpreis der Herzen hat der Mann trotzdem schon längst bekommen: Dank der Irren, die nicht Strache, sondern ihn trotz verquaster TV-Auftritte wählten, ist die FPÖ nicht stimmenstärkste Partei geworden und kann nicht den Kanzleranspruch stellen. Spätestens jetzt ist auch die Dreierkoalition aus ÖVP-FPÖ und dieser Partei wieder vom Tisch, die in Österreich die große Koalition abgelöst und zum zweiten Mal seit Haider 2000 (schwarzblau) einen Spagat nach Rechts eingeleitet hätte. Weder ÖVP noch FPÖ wollen mit dem gaga gewordenen Parteigründer noch etwas zu tun haben, eine gemeinsame Regierungsbildung schon gar nicht. Damit bleibt als sicherste Mehrheitsvariante nur die Fortsetzung der Großen Koalition, die zwar Stillstand, aber wenigstens kein Rückschritt bedeutet, erst Recht keine rechtsextremen Politiker mehr an die Spitze eines Landes setzt, das seit Jahrhunderten als Schmelztiegel der Kulturen eher in positiver Manier hervorzuheben ist.

Wenn es wieder nicht für die Milch reicht

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Letzten Samstag stand ich an der Kasse eines Supermarkts. Im Laden frug mich eine Augustin-Verkäuferin, was das abgepackte Stück mariniertes Fleisch denn koste, das sie in der Hand hielt. Zu teuer für sie, wie sich herausstellte. Mit traurigem Blick wandte sie sich ab. Später an der Kasse, auf beiden Seiten lange Schlangen. Ich stehe eingekeilt etwas weiter hinten, beide Hände voll mit Einkäufen, und beobachte zunächst, wie eine junge Frau erst nach mehreren Anläufen mit Bankomatkarte zahlen kann, während die Frauen hinter ihr immer ungeduldiger werden. Dann kommt die Augustin-Verkäuferin, legt ihr gesammeltes Kleingeld vor und lässt die Kassiererin abzählen. Zu wenig. Zwei Joghurts da zu lassen reicht nicht für die Milch. Sie muss die Milch da lassen. Blickt sich hilfesuchend um, niemand hilft. Auch ich nicht, der das nicht ansehen kann. Der gerne die Hand frei hätte, um den Geldbeutel herauszukramen, damit sie den verdammten Euro für die Milch endlich bekommt. Ich rühr mich nicht, während sie ohne Milch aus dem Supermarkt geht. Die Frau vor mir lässt so etwas wie "Jetzt geht es ja wieder schneller - also gleich zwei Mal so lange warten, das war schon bissl zach jetzt" los, was mich ziemlich wütend macht. Der Augustin-Verkäuferin war es peinlich genug, sich mit ihrer Armut vor allen brüskieren zu müssen. Nachtreten muss nicht sein. Als ich an die Reihe komme, sage ich "Aufrunden, bitte!" und schäme mich dafür. Da hätte ich individuell helfen können und stattdessen tue ich es nur feige anonym, weil es ja viel einfacher ist, einen Geldbetrag um ein paar Blechmünzen aufzurunden als vor allen Einkaufenden Partei zu ergreifen und direkt zu helfen. Noch dazu, wenn man die Dekadenz und das Privileg besitzt, sich etwas leisten , was man sich eigentlich gar nicht leisten kann, aber trotzdem tut. Leider geht sie rasch aus dem Geschäft und davon, ich wäre ihr am liebsten hintergeeilt, aber als ich aus dem Geschäft trete, ist sie nicht mehr zu sehen.

Das schlechte Gewissen hat mich tagelang gequält. Gestern lief ich extra an diesem Supermarkt vorbei, um meine Feigheit wiedergutzumachen. Aber sie war nicht zu sehen. Heute stand sie wieder da und ich fasste mir ein Herz. Sie fragte mich, wie's mir ging und erzählte gleich, dass es ihr nicht gut ginge, dass sie Kinder zuhause hätte. Ich kaufte ihr einen Augustin ab und legte als Spende das Doppelte drauf. Aber reicht das?

Ist mein Gewissen nun so rein, dass ich mich auf dieser Heldentat ausruhen darf? Nein. Hinter dem Umstand, dass sie den ganzen lieben Tag von morgens bis abends vor dem Supermarkt stehen muss, auf den Goodwill von wenigen Passanten angewiesen ist, die ihr einen Augustin abkaufen, und sie die Hälfte des Ertrags ohnehin abgeben muss, verbirgt sich ein menschliches Schicksal. Eines von vielen.

Wir tragen alle unser Kreuz und sind aus den verschiedensten Gründen nicht immer in der Lage, in direktem Kontakt zu helfen, um Not zu lindern. Gegen "Aufrunden, bitte" spricht meiner Ansicht nichts, auch wenn als Kritik genannt wird, "dass es unbekannte Hilfsorganisationen ja viel nötiger hätten". Aber es wird auch niemand gezwungen, NICHT aufzurunden. Das ist eine freiwillige Möglichkeit.

Individuell helfen ist genauso wie institutionell helfen wichtig und darf nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Geld ist natürlich nicht alles. Ein Lachen zurückgeben, zuhören, fragen - auch das macht schon glücklich, längst nicht nur Mittellose, sondern Menschen generell, wenn es ihnen schlecht geht und sie sich zurückziehen.

Die Krux ist allerdings der generelle Umgang mit Armut und mit Flüchtlingen, die nicht arbeiten dürfen und sich ihr Taschengeld, denn mehr ist es nicht, durch Straßenzeitungsverkauf aufbessern müssen. Das ist ein gesellschaftlicher Missstand, der sich nicht durch Geldspenden alleine auflösen lässt. Dazu ist ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft notwendig, und der ist unter Jahrzehnten konservativer Regierungsbeteiligung und stets hohem Anteil an Rechtsparteien immer wieder torpediert worden. Als Zugereister fühle ich mich für diesen Zustand nicht verantwortlich, da ich hier nie gewählt habe. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt Verantwortung abwälzen kann. Nachdem sich mein Lebensmittelpunkt gänzlich nach Österreich verlegt hat, brennt so viel Feuer in mir, diesen Missständen nicht tatenlos zusehen wollen. Was nichts anderes heißt, als dass ich hier auch ohne Wahlrecht aktiv werden möchte. Soweit es meine Rahmenbedingungen zulassen. Dafür österreichischer Staatsbürger werden? Ich weiß nicht, mir spricht Dirk Stermann aus der Seele, als er im Interview entgegnete "Ich finde es schon beschissen genug, Deutscher zu sein."

Die Krux sind aber auch die stark steigenden Lebensmittelpreise, gerade Grundnahrungsmittel, die man sich als Durchschnittsarbeiter leisten kann, auch wenn man über die Preise nur noch den Kopf schütteln muss. Vielleicht hätte sie ihre Lebensmittel auf dem nahen Brunnenmarkt preiswerter bekommen, hätte sie die Zeit gehabt, vor Marktschluss dort hin zu gehen.  

Ich weiß nur, dass ich beim nächsten Mal nicht untätig da stehen werde, wenn es wieder nicht für die Milch reicht. 

Was ist eigentlich ein 'Safe Space' ?

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Beim Genießen der Nachmittagsonne auf der bunt belaubten Donauinsel habe ich darüber nachgedacht, wofür eigentlich ein "Safe Space" steht. Dieser Begriff fiel auf Twitter erstmals von @nightlibrarian in meiner Timeline und kam besonders in der #Twittkultur-Diskussion mehrfach zur Sprache.

Auf diesem Blog habe ich eine sehr schöne deutschsprachige Definition gefunden:
Es handelt es sich um Orte, an denen Angehörige von Minderheiten bzw. benachteiligten Gruppen sich aufhalten können ohne Angst vor den (leider) üblichen Diskriminierungen, Anfeindungen, Angriffen, neugierigen Blicken, etc. haben zu müssen. Sie können dort Ängste und angewöhnte Abwehrmechnismen ablegen und sich frei und sicher fühlen. Dazu gehört, dass den “Feinden” der Zutritt strengstens verwehrt ist. Zu den üblichen Prinzipien gehört, dass ein Besucher im Zweifelsfall nur dann Zutritt hat, wenn ausdrücklich niemand ein Problem damit hat. 
Explizite 'Safe Spaces' für Frauen sind demnach z.B. Frauenhäuser und spezielle Beratungsstellen. 

Eine weitere allgemeine Definition ist hier nachzulesen:
Ein Platz, wo alle sich entspannen und sie selbst sein können, ohne Angst, sich unkomfortabel, unwillkommen oder bedroht zu fühlen, aufgrund ihres biologischen Geschlechts, race/Ethnizität, sexueller Orientierung, Geschlechtsidentität, kulturellem Hintergrund, Alters oder physischer oder geistigen Fähigkeiten; ein Platz wo die die Regeln den Selbstrespekt und Würde einer jeden Person schützen und alle ermuten, sich gegenseitig zu respektieren.
Die Wirklichkeit ist leider oft rauer, und 'sich selbst sein können' ist für viele Menschen, nicht nur Frauen, schwierig. Ich würde soweit gehen, dass der "safe space" eine Wunschvorstellung für jeden Menschen ist, der nach Kants kategorischen Imperativ denkt und handelt ("Behandle andere so, wie Du selbst behandelt werden willst"). Beschränkt man safe space auf das Geschlecht, existiert die Ungleichbehandlung für mich als Mann nicht, sieht man den Begriff etwas weiter gefasst, erleben wir Diskriminierung fast täglich - wir, das sind Migranten, Flüchtlinge, Homosexuelle, Transsexuelle, Menschen mit fremdbürtigem Dialekt, Menschen mit sichtbarer und unsichtbarer Behinderung. Ist die Würde des Menschen nicht unantastbar?

Ich muss gestehen, dass ich erst jetzt begreife, warum bei der damaligen Besetzung des sowimax-Hörsaals in Innsbruck so viel Wert darauf gelegt wurde, den besetzten Hörsaal als 'antisexistisch, antirassistisch, antidiskriminierend' zu titulieren. Er wurde bewusst als "Safe Space" geschaffen, um nur solche dauerhaft hineinzulassen, die die Würde der anderen Besetzer (speziell: Frauen) nicht verletzen. Daher musste auch ein Universitätsmitarbeiter gehen, der sich (angeblich) sexistisch über die Besetzerinnen geäußert hatte, und bis dahin aber die Besetzer*innen unterstützt hatte. Mir war bis heute nicht bewusst, weshalb hier so radikal gehandelt wurde; allerdings kann ich auch nicht nachprüfen, was bei dem Vorfall wirklich passiert war - ein Nebenkriegsschauplatz.

Die Frage ist nun, ob #Twittkultur so einen "Safe Space" notwendig hat, ja vorausssetzt, damit Frauen auf die Bühne kommen. Für mich persönlich impliziert der Veranstaltungsort im Café Tachles bereits den Safe Space, denn ich habe bisher nur gute Erfahrungen dort gemacht - es ist kein finsterer Club am Gürtel mit noch finsteren Kerlen. Ich ging daher zwangsläufig davon aus, dass sich alle Anwesenden niemals abwertend über die Teilnehmer auf der Bühne verhalten würden. Das ist aber nur mein Bauchgefühl, und für all jene, die noch nie vom Tachles gehört haben, ist ein "Safe Space" womöglich eine Absicherung. Auf der anderen Seite gibt es in der Öffentlichkeit viele kulturelle Veranstaltungen, die nicht explizit auf einen Safe Space hinweisen - und es meines Wissens auch nicht zu Anfeindungen kommt. Übertriebene Vorsichtsmaße also? Sich ordentlich gegenüber seinen Mitmenschen zu benehmen ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Letzendlich maße ich es mir als 'Mann', der sich zumindest wegen seiner 'Maskulinität' nirgends diskriminiert sieht, nicht an, die Notwendigkeit eines 'Safe Space' zu beurteilen.

Zuletzt noch ein nachdenkenswerter Blogbeitrag aus einem feministischen UK-Blog über den Umgang mit Kritik zu feministischen Meinungen:
[...] how we define a safe space and what we consider to be fair criticism vs. what constitutes an unfair attack [...]
We will always have disagreements, and it is only by exchanges where the opposing arguments are deconstructed and replied to that there can be any real education or personal growth. Sometimes this gets heated and personal, which is something impossible to avoid on a feminist blog.

[...] I was grateful to those who took the time to explain, and who pointed things out gently, but I was also grateful to those who were a bit harsher. It stung, but it helped me realise where I was wrong.[...]
und speziell an die vergangene Diskussion denkend:
[...] By sheer virtue of being men, male commenters enter the discussion likely to be at odds with feminists, and this will cause friction. [...] It is necessary to remind the privileged that they enter a discussion with the danger of silencing those they supposedly support, and that it is up to them to be aware of their limited experience, and that things will not be tailored towards them. [...]

[...] I believe it would be far bigger an insult to treat anyone who disagrees as a lost cause, who is not capable of understanding, as a troll whose arguments shouldn't be touched or examined.[...]
Vielleicht war es der Trugschluss zu glauben, dass Twitter ein "Safe Space" sei. Twitter ist Öffentlichkeit. Jeder kann - sofern man keine restriktiven Einstellungen macht - alle Tweets lesen. Auf Twitter gesellen sich Menschen unterschiedlichen Interesses, leider - wie überall im Internet - auch viele Trolle. Zu glauben, eine öffentliche Diskussion verliefe immer konstruktiv, bleibt ein Wunschtraum. Die Fülle an Tweets ist nahezu unmoderierbar, während dies in einem moderierten Forum oder Chat anders ist und Verletzungen der "Hausordnung" (sei es das Bekenntnis zum "Safe Space") rascher und stärker geahndet werden können. Weiters neigt man im Internet generell eher zur Impulsivität als vis-à-vis, da zwischen mir und dem Diskussionspartner ein Bildschirm ist, und man ihm/ihr nicht direkt in die Augen sehen muss, wenn man einen schärferen Beitrag/Tweet verfasst.

Auf der Donauinsel

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DC Tower 1
Mexikokirche
DC Tower als Goldener Schnitt
Donaustadtbrücke (mit U2-Garnitur)
Haltestelle Donaumarina

Menschen ohne Namen: Bettler und Obdachlose

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Menschen einfach zu vertreiben, ohne ihnen einen sicheren Unterschlupf zu bieten, ist unmenschlich - so wie kürzlich im Stadtpark geschehen. Die Obdachlosen weichen damit nur auf andere Plätze aus, während die Notschlafstellen bereits überlastet sind.

Wer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Wien unterwegs ist, besonders in den U-Bahn-Stationen, trifft regelmäßig auf die unterschiedlichsten Auswüchse von Obdachlosigkeit und Bettlertum. Wenn es kalt ist, liegen die Obdachlosen mit Schlafsäcken oder Decken in den U-Bahn-Stationen, besonders am Karlsplatz.

Einem von ihnen begegne ich immer wieder, was bei mir Schrecken und tiefe Betroffenheit hervorruft. Es handelt sich um einen älteren Mann in völlig verwahrlosem Zustand, mit zerschlissener Kleidung, grauem-verdrecktem Bart und ebenso grauen Haaren. Seit drei Jahren ist er meist zwischen Reumannplatz und Karlsplatz unterwegs und uriniert vor allen Fahrgästen in die voll besetzte U-Bahn, in die Mistkübel, direkt auf die U-Bahn-Steige oder zuletzt beim Abgang Oper direkt vor den Lift. Wie erreicht man solche Menschen, die sich nur mehr rein instinktiv verhalten? Die wie verschreckte Tiere umhergehen, deren glasige Augen leer und teilnahmslos sind. Sicherlich ist die erste Reaktion von uns 'zivilisierten Menschen', angewidert zu sein, den Schritt zu beschleunigen, den Wagon zu wechseln. Doch der Obdachlose bleibt - außer er wird uns gewaltsam aus den Augen geschafft. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Neben den Obdachlosen gibt es noch die klassischen "haste mal n Euro"-Bettler, aber auch die rumänischen BettlerInnen, die durch die U-Bahn gehen, dabei singen oder auf einem Stock gebückt mit flehendem Blick um Spenden bitten. Viele von uns fühlen sich durch die direkte Ansprache in der persönlichen Integrität verletzt, oder anders gesagt: Niemand lässt sich gerne einen Spiegel vor Augen setzen, wenn es heißt, Farbe zu bekennen, und etwas tun. Meist ignorieren wir die BettlerInnen, schauen betont sinnlos aus dem Fenster, selbst wenn es - wie in der U1 - nichts zu sehen gibt außer kilometerweit Tunnel und monotone Bahnsteige.

Laut Ferdinand Koller von der BettelLobbyWien handelt es sich bei den BettlerInnen aber großteils nicht um Bettler, die ihr gesammeltes Geld später bei 'Hintermännnern' abgeben müssen. Die Bettelmafia sei somit ein Mythos. Anders sieht das die Polizei. Von einer Bettelmafia will man aber auch hier nicht sprechen: „Das ist einfach organisierte Kriminalität.“

Dabei verdienen Bettler laut der BettellobbyWien ohnehin kaum mehr als 5 bis 25 Euro am Tag und sind damit für organisierte Kriminelle kaum relevant. Zudem verbietet ihnen eine Novelle des 'Wiener Landessicherheitsgesetzes" seit 2010 ''aggressives Betteln''.
"Streckt ein Bettler die Hand aus, wird das bereits als aggressive Handlung gewertet", sagt Ferdinand Koller von der Bettellobby Wien. Er sieht dadurch das Grundrecht eines Menschen auf Erwerbsfreiheit verletzt. Außerdem verweist er auf die Spendensammler großer NGOs, die auf Wiener Einkaufsstraßen oft sehr aufdringlich würden und Passanten sogar ein Stück nachgingen: "Da misst die Politik eindeutig mit zweierlei Maß." 
Mein Slalomlauf durch die Fußgängerzone, wenn die NGOs am Sammeln sind, liefert davon beredtes Zeugnis ab. Auch im Wahlkampf wird man von den Parteijüngern angesprochen und quasi um Stimmen 'angebettelt', um das zweierlei Maß einmal auf die Spitze zu treiben.

Hilfe ist immer mehrstufig verzahnt - bestehend aus Soforthilfe (Geldspende oder eine Semmel kaufen, wie es eine ehemalige Kollegin von mir immer tat, wenn sie ein Bettler/Obdachloser ansprach) und übergeordnet in langfristigem Maßstab durch Entwicklungshilfe (Österreich tut sich da eher unrühmlich hervor.). Sicherlich mag es auch Obdachlose geben, die nicht in Notschlafstellen schlafen wollen, aber ist das wirklich die Mehrheit? Und ist die steigende Zahl armer Menschen in Europa nicht auch die Folge der Sparpolitik, die Reichensteuer, Vermögenssteuer, Bankgeheimnis, Steueroasen und all jene Schlupflöcher für Wohlhabende unangetastet lässt, sich das benötigte Geld dann aber von der Armen holt, und beteuert, es ginge nicht anders, "jeder" müsse seinen Beitrag leisten. Kommt man dann mit 'gerechter Umverteilung', werden sofort kommunistische Anwandlungen heraufbeschworen, Geister totalitärer Vergangenheit.

Flüchtlinge, Obdachlose und Bettler sind nun eine besondere Randgruppenerscheinung. Sie sind namenlos, nur Statistik, selten zeigen sie uns, wie egal sie uns sind, wenn wir ihre Bitten und Betteln ignorieren, wenn wir einfach wegschauen und so tun, als ginge uns ihr Schicksal gar nichts an; als ob wir selbst niemals in deren Situation geraten könnten, als ob wir niemals jemand kennen lernen werden, der sich in dieser Situation befindet oder befinden wird.

O-Ton Talk: Mediale Unterrepräsentanz der Frauen

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Frauen in den Medien - Woher das Ungleichgewicht:

Eine Versachlichung der Frage, warum es so wenig Frauen in Podiumsdiskussionen, in Talksendungen auf, der Bühne gibt.

Zu Gast waren: Corinna Milborn (Puls 4), Vina Yun (an.schläge) und Daniela Kraus (fjum_forum journalismus und medien wien), moderiert hat die dastandard.at-Chefin Olivera Stajic.

Entscheidungsträger und Wiedererkennungswert

Millborn nannte als Hauptgründe für die geringe Frauenrepräsentanz in den Talksendungen, dass sie je nach Diskussionsformat Entscheidungsträger einladen, die zumeist Männer sind, und Frauen allgemein ungern in Talkshows gehen. Daniela Kraus hält eine Frauenquote für notwendig, um Vielfalt und Gestaltung zu demonstrieren, da oft eine Frauenperspektive fehlt [ich denke da an die letzte Klartextsendung in Ö1 über die Pensionen, da Frauen weniger als Männer verdienen und oft kürzere Zeit arbeiten]. Milborn fühlt sich als Info-Chefin bei Puls4 nicht zuständig für die Frauenquote, sondern für Inhalte, auch wenn sie leichter Themen durchsetzen kann (könnte), bei der Frauen zur Sprache kommen können. Puls4 zeigt hier gegenüber anderen Sendern durchaus eine Vorbildfunktion, da als Chefredakteure mehr Frauen als bei der Moderation beschäftigt sind.

Das Ungleichgewicht rührt unter anderem daher, dass Männer alleine durch ihren Titel für eine Einladung qualifiziert sind, eher die Chefrolle übernehmen und sich allgemein qualifiziert fühlen (also sagen: Ja, dazu sag ich gerne etwas), viele Frauen verweisen dagegen an die nächsthöhere Ebene ("Fragen Sie besser meinen Vorgesetzten ...!") und geben die Verantwortung damit lieber ab.

Corinna Milborn erläutert, dass gerade in Mainstream-Sendern wie Puls4 der Wiedererkennungswert in Talkshows enorm wichtig sei, weil es um die Zuschauerquote allgemein ginge. Die Zuseher zappen tendenziell während der Talksendung hinein und werden eher festgehalten, wenn sie ein bekanntes Gesicht entdecken, deren Argumentation ihnen bekannt ist. Da dies (bisher) meistens Männer sind, steht ein Teil der Gäste gewissermaßen immer fix.

Frauen werden anders bewertet als Männer 

Als Nächstes wurde das Thema Absagen angesprochen, da sich viele Frauen einfach nicht trauen, wobei rationale Gründe dahinterstecken: Frauen scheuen sich davor, in wenigen Wortmeldungen ihren Standpunkt zu vertreten [Übungssache?], zudem gehe es hinterher meist um etwas Optisches wie die Kleidung, der Lippenstift oder die Frisur. Frauen werden also generell anders als Männer wahrgenommen, was aber ein gesellschaftliches Problem sei und woran die Werbung und Unterhaltungsindustrie mitschuldig sei.

Frauen fehlt eher die Lust an der Selbstvermarktung, wären ungern "Rampensau" und zeigen falsche Bescheidenheit. Zudem bekommen sie eher untergriffige Rückmeldungen als Männer.

Männer neigen dazu, sich ständig zu Wort melden zu müssen, selbst wenn der Inhalt schon gesagt wurde, während sich Frauen nur zu Wort melden, wenn es etwas Neues gibt. Entsprechend melden sie sich seltener zu Wort und sind weniger präsent.

Stajic bricht eine Lanze für die JournalistInnen, die keine Zeit hätten, mehr als fünfzehn Frauen zu suchen, die sich zur Verfügung stellen würden, während Milborn weniger ein Zeitproblem sieht als zu viel Scheu - sie appelliert an die Frauen, eine "Scheiß-drauf-Mentalität" ebenso zu entwickeln wie die "Lust am kritisiert werden". Kraus ergänzt, dass Frauen durchaus "gerne würden", aber Scheu haben, sich zu trauen, sie sollten sich "nix scheißen" und öfter überwinden.

Konfrontative Diskussionen notwendig?

Angesprochen wurde auch das Diskussionsformat, da Konfrontation offenbar Männer eher entgegenkomme. Milborn sieht allerdings keine Notwendigkeit, dies zu ändern, da "seit 3000 Jahren konfrontativer Austausch" stattfinde, und eine Streitkultur notwendig ist, da sich hier dann zeige, welche Argumentation logisch und durchdacht sei. Der Zuseher sieht quasi seine eigene Argumentation auf dem Prüfstand.

Wie Frauenrepräsentanz verbessern? 

Es muss gezielter nachgefragt werden und bestenfalls erst mal nur 50 % der Diskussion besetzen, um dann nach ExpertInnen zu suchen. Vina Yun schlägt vor, sich an feministische Netzwerke zu wenden, die Speaker- bzw. Kontaktlisten zu den Themen besitzen. Hilfreich kann außerdem sein, das Auftreten erst im kleineren Kreis, bei einer Veranstaltung, auf der Bühne zu üben, ehe man zu den Medien geht. Und die Stimme zu erheben, sich trauen.

Ein Anfang

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Heute im Supermarkt, in einem von ehemaligen Jugoslawen dominierten Grätzel. Eine lange Schlange hat sich an der Kassa gebildet. Von rechts drängelt sich ein junger Mann mit Vollbart und zumindest erkennbar ex-jugoslawischer Herkunft vor eine junge Frau aus erkennbarer ex-jugoslawischer Herkunft. Soviel zu den Klischées. Die Frau sagt nichts, der Mann hat nur eine Flasche Saft, und bezahlt an der Kassa. Da legt die junge Frau loß: "Beim nächsten Mal bitte fragen, und nicht einfach vordrängeln!" - Er: "Ich hab eh nur eine Flasche...!" - "Wir alle haben nicht viel. Trotzdem kann man fragen, ob man vor darf!" - Er schaut sie nur verdattert an, vielleicht ungläubig darüber, so offen Kritik zu erfahren, und geht wortlos aus dem Laden. In diesem Moment hätte ich am liebsten Beifall geklatscht - die Frau hat das Patriarchatüberwunden. Mich (ich stand hinter ihr) hatte es nicht gestört, da ich Zeit hatte, aber im Prinzip hat sie Recht - man kann fragen, die wenigsten sagen nein. Viele lassen einen sogar vor, wenn man ein größeres Einkaufssackerl trägt.

Im Regen

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Die Linie D fährt am Karlsplatz ein. Es regnet in Strömen. Vor ihr hält die Linie 1. Die Linie 1 fährt los. Da stürmt eine Mutter mit ihrem Sohn im Rollstuhl heran. Blickt Richtung Fahrer der Linie D. Der muss sie sehen, sie bleibt stehen, nachdem der Fahrer nur zögerlich anfährt, denkt, er bleibt noch mal stehen. Nichts da. Die barrierefreie Bim zieht davon, Mutter und Sohn bleiben im Regen zurück. Die nächste Niederflurbim kommt zwölf Minuten später.

Intervalle barrierefreier Garnituren

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Wie imvorherigen Blogpost bemängelt, fallen den langen Abständen zwischen zwei Niederflurbims vor allem Rollstuhlbenutzer zum Opfer, aber auch Mütter (es sind meistens Mütter, seltener Väter) mit Kinderwagerl, wenn dieser zu schwer ist, ihn in die alte Bim zu heben oder sich niemand zur Hilfe anbietet (soll vorkommen). Heute in der Rush Hour zwischen 16.00 und 17.00 durften jene, die auf Niederflurgarnituren angewiesen sind, ganze 20 min in der Josefstädter Straße auf die nächste 2er stadtauswärts warten. Es mag für uns Fußgänger und Nichtkinderwagerlbesitzer schon nervig und stressig genug sein, wenn wir ganze 9 Minuten auf die nächste Bim warten müssen, die wieder mal irgendwo im Stau steht, weil ein depperter Falschparker den Gleistrog verstellt hat, aber wie planen Menschen mit Handicap und Mütter oder Väter mit Kinderwagerl ihren Alltag? Interessanterweise werden auf den Linien 46 und 44 ausschließlich Niederflurgarnituren geführt, nicht aber auf den Linie 2 und 6. Was unter der Woche aufgrund der dichten Intervalle normalerweise (!) kein Drama ist, wird am Wochenende beschwerlicher, wenn die Intervalle verlängert sind und schon mal abstruse Anzeigen wie "32 min" bis zur nächsten Niederflurgarnitur erscheinen. Ist das barrierefrei? Von den alten S-Bahn-Garnituren mit Stiegeneinstieg möchte ich erst gar nicht reden, die man sowohl auf der Stammstrecke als auch auf der S45 findet. Auch die Dimensionierung der U-Bahn-Stationen selbst ist manchmal fragwürdig. Wer etwa in der Johnstraße in die U3 hinabsteigt, findet eine sehr geräumige Station mit Lift, Stiegen und Rolltreppen, die auch hinabführen. In vielen Stationen hingegen führen nur Stiegen hinab (und ein Lift), etwa in Wien-Mitte zur U3 und U4, obwohl Wien-Mitte der zentrumsnaheste Bahnhof in Wien ist. Am Südtiroler Platz, wo die U1 künftig die Menschenmassen vom Hauptbahnhof schlucken wird, gibt es überhaupt nur einen Lift und eine Rolltreppe. Das ist nervig für ältere Menschen, für die der Weg die Stiegen hinab beschwerlich ist, für Kinderwagerlbesitzer, und für Rollstuhlfahrer. Und für Radfahrer, die das Rad mit in die U-Bahn nehmen wollen. Irgendwie beißt sich das mit den vorhandenen Liftressourcen. Ich versuche es daher oft gar nicht, schade. In Summe bin ich also froh, nicht zu den Betroffenen zu gehören, die auf barrierefreie Zugänge zu den Öffi-Stationen und Verkehrsmitteln angewiesen sind. Das heißt aber nicht, dass es mir am Arsch vorbeigeht, denn jeder von uns kann irgendwann einen Unfall oder eine Erkrankung erleiden, bekommt einmal Kinder oder wird alt und kraftlos. Dann ist man froh, wenn einem der Alltag nicht unnötig schwer gemacht wird.

Twittkultur im Café Tachles - eine Erfolgsstory

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Nachdem ich den Vorgängerbeitrag bedauerlicherweise aus Versehen in den Datenorkus schickte, hier eine Neuauflage, aber etwas positiver formuliert.

Entstanden ist die Idee einer Kulturveranstaltung von Twitterusern für Twitteruser maßgeblich unter der Federführung von Christian Hofler (@tschahnschpange) und Daniel Landau (@LandauDaniel). Über Twitter wurde dann im September und Oktober eifrig für das Ereignis unter dem Hashtag #Twittkultur geworben. Auch die unglücklich verlaufene Diskussion um eine nicht erfüllte Frauenquote hat der guten Absicht der Veranstaltung nicht geschadet. Denn gewidmet waren die Spenden und Eintrittsgelder sowie der Erlös der Versteigerung dem Kinderhospiz, das - wie wohl die meisten erst vor Ort erfuhren - von öffentlicher Hand keinen Cent erhält.

Den ersten Teil der Veranstaltung hatte ich nach einer ausgedehnten Wanderung am selbigen Tag verpasst, dann aber gab ich mir doch einen Ruck und begab mich in den Keller vom Café Tacheles, das als Lokalität von Daniel Landau zur Verfügung gestellt wurde.So bekam ich noch die letzten Zeilen mit, die @chmelar_dieter aus seinem künftigen Buch vorlas, und wie er die Lampe umwarf ;)

Die Metalband "Angst und Anger" mit @zaunbauer begeisterte mit eigenwilligen Kompositionen, zwischendurch gab es Versteigerungen von Gemälden von Twitter-Usern, und Comedy-Auftritte. Highlight war sicherlich im ersten Teil schon die legendäreReich-Ranicki-Imitation durch "Wienerin"-Chefredakteurin S.M.-Steinitz (@smsteinitz). Die vollständige Aufzeichnung gibt es in acht Teilen auf Youtube von @daHoasde - besonders gut gefiel mir auch die für #Twittkultur gegründete Twitterkapöhn und das wunderbare Saxophonspiel von Christian Hofler. 

Selten habe ich so eine ausgelassene Stimmung an einem Abend erlebt. Viele unbekannte Gesichter anfangs, und jedem machte es Freude, die anderen Twitteruser kennenzulernen, die man bis dahin nur in der Timeline las. Ein Beitrag zur Twitterverständigung, eine Transformation von der virtuellen Welt ins real life.

Inzwischen gibt es auch einen eigenen Twitteraccount @twittkultur, auf dem Neuigkeiten zu weiteren Veranstaltungen verbreitet werden. Die nächste Veranstaltung wird als #twittnacht am Samstag, 21.12. im Café Tachles stattfinden - Karmeliterplatz 1, 1020 Wien (Nahe U1/U4 Schwedenplatz und U2-Taborstraße)

Ich sag danke für die Organisation und für den schönen Abend und freue mich auf die nächste Veranstaltung.

Weitere Kommentare, Feedback und Informationen:

http://www.hedu.at/2013/10/twittkultur-am-25-10-2013-im-tachles-1020-wien.html
http://www.gemmato.com/ginocultura/?tag=twittkultur
http://www.gerdahillebrand.at/uebermich.php
http://kramure.nagelmitkopf.at/2013/10/hirn-statt-quote/

Was spricht gegen ein absolutes Rauchverbot?

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Eine auflagenstarke Gratis-Zeitung in Österreich kolportiert die Meldung, dass sich SPÖ und ÖVP auf ein absolutes Rauchverbot in Gaststätten geeinigt haben sollen. Als Entschädigung für Wirte, die bereits Umbaumaßnahmen für getrennte Raucher- und Nichtraucherbereiche getroffen haben, soll es Steuervergünstigungen geben. Tatsächlich laufen die Verhandlungen noch und die Gratis-Zeitung verfügt entweder über Insiderkontakte oder es handelt sich (wieder einmal) um eine verfrühte Falschmeldung.

In Polen, Italien, Irland und Deutschland existiert das strikte Rauchverbot schon länger. In Deutschland gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Die befürchteten Umsatzeinbußen werden  in Bayern inzwischen durch steigende Umsätze kompensiert, im übrigen Deutschland dagegen kurz nach der Einführung 2007 eingetreten.

Rauchen zählt ebenso wie Autofahren und Alkoholkonsum zu gesellschaftlich akzeptiertem Verhalten. Jahrzehntelang war es Teil der Lebenskultur zu rauchen, am Arbeitsplatz, in den Zügen, in Gaststätten und erst recht in zahlreichen Hollywoodproduktionen (Beispiel: Independence Day). Nichtraucher hatten sich zu fügen, den Qualm zu ertragen. Umgekehrte Rücksichtnahme ist eher die Ausnahme. Bis vor ein paar Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Nichtraucher zu fragen, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er raucht.

Wortwahl entscheidend

Das Grundübel ist - wie so oft - die Wortwahl in der aufgeheizten Debatte: Rauchverbote dienen in erster Linie dem Schutz der Nichtraucher, also warum nicht als Nichtraucherschutz benennen?
Verbote und Pflichten - wo immer ausgesprochen, rufen naturgemäß Rebellion hervor. Genauso gibt es gesetzliche Bestimmungen über die Lautstärke in der Disco oder auf Konzerten, da ab einer gewissen Lautstärke Hörschäden auftreten können. Einem kleinen Teil der Bevölkerung scheint zu laute Musik nichts auszumachen, gehörlose Menschen freuen sich sogar darüber (frei nach Herbert Grönemeyer - Musik ist nur gut, wenn sie laut ist), aber für die Mehrheit und ihre empfindliche Ohren ist zu laute Musik eben schädlich. Wie schädlich, erfahrt man leider oft erst, wenn sich bereits ein irreparabler Gehörschaden entwickelt hat. So ist es beim (Passiv-) Rauchen auch. Ebenso sind besonders Menschen mit Atemerkrankungen gefährdet, sei es durch Asthma, Heuschnupfen, Mukoviscidose oder herz- und lungenkranke Menschen.

Was ist normal?

Eigentlich ist der Begriff Nichtraucher ein Kunstwort, denn auf andere Süchte übertragen müsste man auch von Nichtalkoholikern, Nichtheroinabhängigen und Nichteinkaufssüchtigen sprechen. Wenn wir aber eine Sucht als eine psychische Störung betrachten, die nicht einem psychisch gesunden Zustand entspricht, sind es nicht die Nichtraucher, die ein Problem mit dem Rauch haben, sondern die Raucher, die nicht auf das Rauchen verzichten können. Von den gesundheitlichen Auswirkungen mag ich hier gar nicht sprechen. Gerne werden als Argument jene angeführt, die trotz jahrzehntelangem Rauchen 100 Jahre alt geworden sind, sich kerngesund fühlen. Oder im Umkehrschluss Lungenkrebspatienten, die nie geraucht haben (möglicherweise aber passiv geraucht haben?). Dann wird die Feinstaubbelastung in den Städten als größeres Problem genannt, obwohl die Feinstaubbelastung sich in der freien Natur gut verteilen kann - auch abhängig von der Wetterlage, während die Lüftung in Raucherlokalen oft schlecht ist oder nur möglich ist, wenn man die Türen und Fenster aufreißt, was im Winter schon mal zum Frösteln veranlässt.

Durch Interaktion entsteht Verantwortung

Das Zauberwort ist Risikominimierung. Das Leben besteht aus Risiko, das ist zweifellos richtig, und ob sich jemand seine eigene Gesundheit durch Fast food, Rauchen, Saufen oder Süßigkeiten zerstört, ist Privatsache. Sich selbst lebensverlängernd zu ernähren und zu verhalten ist Sache des mündigen Bürgers, hier braucht keine Verbote und Bevormundungen, auch keinen "Veggie Day", wie ihn die Grünen unlängst im deutschen Wahlkampf vorschlugen.

Der Bürger ist allerdings Teil einer Gesellschaft - und sobald es zu Interaktionen kommt, hat der Staat die Aufgabe, die Rechte eines jeden Einzelnen zu schützen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist als Grund- und Menschenrecht in unserer Verfassung verankert. Raucher, die in Interaktion mit der Bevölkerung treten, schaden nicht nur sich, sondern auch ihrer Umwelt. Dafür existiert der Nichtraucherschutz. Was der Raucher in seinem Wohnzimmer, auf dem Spaziergang, im Auto oder sonstwo tut, ist seine Privatsache.

Der Besuch des Lokals wird nicht verboten

Es handelt sich um Verbote des Rauchens (Vorgang), nicht der Raucher (Personen). Raucher können weiterhin die Lokale besuchen, nur dürfen sie eben dort nicht rauchen. Nichtraucher belästigen Raucher nicht mit Frischluft, sondern die Raucher die Nichtraucher durch den Qualm. Freiwillige Rücksichtnahme funktioniert ebenso wenig wie die Rettungsgasse oder freiwilliges Anschnallen im Straßenverkehr.

In meinem Bekanntenkreis kenne ich ad hoc viele Nichtraucher, die gerne und häufiger Lokale besuchen würden, wenn sie danach nicht immer den Rauch aus der Kleidung waschen müssten, über Kopfweh, tränende Augen und Halsschmerzen klagen würden, das Essen nicht nach Rauch schmecken würde. Oft übt man eben doch Nachsicht und Toleranz und erträgt den Rauch klaglos, aber der Spaß beim Lokalbesuch ist im Gegensatz zum Raucher reduziert und das Bedürfnis, sich regelmäßig dem Qualm auszusetzen, ebenfalls.

Was wird geschehen?
  • Durch das absolute Rauchverbot muss der Wirt mit Umsatzeinbußen rechnen, weil die Gäste wegbleiben
Anfangs ja, u.a. auch, weil die Raucher öfters vor das Lokal gehen und weniger konsumieren. Dafür kommen Gäste, die vorher wegen dem Umstand, dass es ein Raucherlokal war, nicht gekommen sind. Auch Gelegenheitsraucher verzichten eher auf den Glimmstengel und bleiben deswegen nicht fern. Und am Ende schaffen es vielleicht auch die Kettenraucher, zumindest für die Dauer des Lokalbesuchs, auf die Tschick zu verzichten.

  • Durch das Rauchverbot kommt es zu Konflikten mit den Anrainern. 
Das spielt in einer Großstadt vielleicht weniger eine Rolle, da der Individualverkehr ohnehin die größte Lärmquelle (in der Nacht) darstellt, an Land wird das Rauchverbot womöglich nicht so streng kontrolliert. Da ist auch ein wenig Rücksichtnahme gefragt, sich nicht laut brüllend vor dem Lokal zu unterhalten - egal ob Raucher oder Nichtraucher.
  • Die Nichtraucher sind schuld, dass die Lokale Umsatzeinbußen haben.

Der Nichtraucher geht eher häufiger hin und konsumiert womöglich auch länger, da auch nach drei Stunden keine wortwörtlich dicke Luft im Raum mehr herrscht.

Halbgarige Lösungen

In Wien ist alles anders, dazu zählen halbgarige Lösungen eines getrennten Raucher- und Nichtraucherbereichs, der teure Umbaumaßnahmen erfordert hat. Der Rückbau kommt dem Wirt teuer zu stehen, daher kann ich die Wut der Wirte absolut verstehen. Statt der schleichenden, aber kostenintensiven Einführung des Nichtraucherschutzes wäre die radikale Lösung aus baulicher Sicht günstiger gekommen. Das mit den ausbleibenden Gästen muss sich so oder so einpendeln.

Zu meiner Person: 

Ich bin starker Nichtraucher, habe aber zur Schulzeit auf Partys auch das ein oder andere Mal an der Tschick gezogen, allerdings nie auf Lunge. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens auf die Lebensqualität sah ich an Mitschülern, denen beim 1000 m-Lauf schon nach 300 m die Luft ausging, an rauchbedingten Erkrankungen im Bekanntenkreis, die sich beinahe tödlich auswirkten - und an Bekannten, die an Asthma leiden, und denen ein (Raucher-)Lokalbesuch verwehrt bleibt. Ich bezweifle, dass die Lärm- und Staubbelastung in den Städten gesundheitsfördernd ist, aber den Rauch direkt ins Gesicht geblasen zu bekommen ist eine vielfach höhere Konzentration als Autoabgase.

Positives Denken

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aus: Christoph Schlingensief, So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein, Tagebuch einer Krebserkrankung, S. 59:
"Da stand eine Mutter an einem Kinderbettchen gegenüber. Im Dämmerzustand habe ich sie gebeten, sie solle doch mal zu mir kommen. Ich habe sie gefragt: Was hat ihr Kind? Was ist mit ihrem Kind? Sie sagte, das rollt immer so komisch auf den Fußballen ab, das läuft immer nur ganz vorne auf den Zehenspitzen. Wissen Sie, warum ihr Kind das tut?, sagte ich. Weil ihr Kind einfach besonders intelligent ist. Ihr Kind ist einfach ein hochintelligentes Wesen, ein Autist. Das sind die, die auf Zehenspitzen durch die Welt laufen. Die haben so viel zu denken, dass sie auf dieser Erde nur ganz vorsichtig gehen können. Und das ist bei Ihrem Kind so. Ihr Kind ist ein Genie, habe ich im Halbschlaf gemurmelt. Und die Mutter hat mich angestrahlt, war wahnsinnig glücklich in dem Moment und hat auch ihr Kind so schön angelächelt, als hätte sie es neu begriffen. Und als ich weggefahren wurde, hat sie mir zugelächelt. Das war wunderschön."

Jun Miyake im Radiokulturhaus: für Liebhaber

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Ein ganz eigenartiger Abend. Schön, bizarr, befremdlich und berauschend zugleich.

Erstmals gehört habe ich von Jun Miyake vor genau einer Woche in den Spielräumen von Andreas Felber auf dem Qualitätssender Ö1. Schon die Ankündigung auf der Internetseite klang vielversprechend, mit einem Mix aus Chansons, Bossa Nova und Jazz - Musikstile, die mir bereits separat gefallen. Nach den ersten paar Takten war klar, dass dies genau meinen Musikgeschmack traf. Felber kündigte zum Ende der halbstündigen Sendung, in dem er den Interpreten vorstellte und Musik aus seinem neuesten Album spielte, auch das erste Konzert auf österreichischem Boden, im ORF-Radiokulturhaus an. Ich fackelte nicht lange und bekam tatsächlich so kurzfristig noch eine Karte. Eine herrlich spontane Entscheidung und mein erster (größerer) Konzertbesuch seit Loreena Mckennitt im vergangenen Juli in Dresden.

Gestern ging ich also das erste Mal ins Radiokulturhaus. Ich hatte meine Karte mit Kreditkarte gezahlt und wollte sie an der Abendkasse abholen. Nur: Wo befind sich die Abendkasse? ORF-Shop assoziierte ich mit einem Fanshop und ging daran vorbei. Sonst war nirgends ein Hinweisschild zu sehen, dafür gingen immer wieder Besucher durch den Eingang und kamen kurz darauf wieder hinaus. Irgendwann checkte ich dann doch, dass ich im ORF-Shop meine Karte abholen musste. Das stand sicherlich auf der Homepage, aber da stand sehr viel, und die verschiedenen Eingänge und Abholmöglichkeiten haben mich schlicht überfordert - und einige Besucher vor und nach mir auch. Kleiner Tipp an den Veranstalter: Ein Hinweisschild "Abendkasse im ORF-Shop" würde zur Klärung beitragen und könnte Euch dutzende Nachfragen ersparen ;-)

Unter den rasch einströmenden Zuhörern befand sich jede Menge Prominenz, natürlich erkannte ich niemanden, obwohl mir ein paar Gesichter bekannt vorkamen, ich sie aber nicht einordnen konnte. Gesichtsblindheit. Viele waren eher wie Ballgäste gekleidet, aber zu meiner Erleichterung befanden sich auch etwas Fußvolk unter dem Publikum. Ich saß relativ weit hinten, die Reihe musste ich erst einmal suchen , da man in der Dunkelheit die Reihen- und Sitznummer kaum erkennen konnte. Aber es scheint ein alter Bühnensaal zu sein, da darf etwas Suchen nicht zu viel verlangt sein.

Dann sagte Andreas Felber den Abend an, war auch schön, das Gesicht dazu kennenzulernen (gut, auf dem Avatar von Twitter ist er auch zu sehen, aber auf Twitteravataren sehen viele komplett verändert aus, wie ich kurze später noch an anderer Stelle bemerkte ...). Jun Miyake trat mit einem bulgarischen Frauenchor ("Cosmic Voices"), einem Streicherquartett auf, einem gut bestückten Schlagzeuger, Bass, Gitarre/Oud, Saxophonist/Querflötist und mit sich selbst an Klavier, Fender Rhodes und Trompete. Und der stimmgewaltigen Lisa Papineau, die ihren Gesang mit rhythmisch einzigartigen Bewegungen komplettierte. Miyakes Konzert verlief nicht ganz nach dem vorher an alle Zuhörer ausgegebenen Programmplan ("don't kill me for that!"), was mich aber nicht sonderlich störte. Thema war sein Tribut an Pina Bausch, eine weltweit bedeutende Choreografin, die 2009 verstarb und mit der Miyake lange zusammenarbeitete.

Störend war allenfalls die Soundmischung, da der Frauenchor etwas zu grell war und die anderen Musiker übertönte. Auch ging im Streicherquartett teilweise Dairo Miyamoto, der langjährige Weggefährte Miyakes, mit seinem Spiel unter. Etwas enttäuschend war auch die Zugabe, die lediglich zwei Stücke aus dem Konzert wiederholte. Jedenfalls kam es mir so vor. Möglicherweise waren die Stücke aber auch leicht variiert wiedergegeben. Zum Abschluss wurde Miyake noch leicht kitschig, mit einer Klassikeinlage auf seinem Fender Rhodes in starker Verzerrung, die vermutlich viele Besucher mehr irrierte als wirklich begeisterte. Aber es sei ihm gegönnt - für mich ein Zeichen, dass er vom Publikum sehr angetan war, obwohl es recht kritisch veranlagt war, wie ich durch meine Sitznachbarn linksseitig mitbekam, die jede Aktion des Künstlers bis ins Detail diskutierten. Davon abgesehen fand (finde) ich seine Musik wahnsinnig originell, womit für mich auch gewisse künstlerische Freiheiten gerechtfertigt sind. Besonders stark bleibt mir der brasilianische Perkussionist Ze Luis Nascimentoin Erinnerung, der zwischendurch auch mit einer Hang drum arbeitete. Der Klangmix war schon sehr intensiv, wenngleich ein größerer Saal dem Ensemble durchaus gut getan hätte. Miyake strahlte eine fast schon unheimliche Ruhe während allen Werken aus, dezent in schwarz gekleidet kontrastierte er die farbenfrohen "Cosmic Voices" aus Bulgarien, die gemäß ihrer Website wohl bei allen Konzerten in traditioneller Tracht auftreten.   

So bleibt trotz kleinerer Kritikpunkte für mich aber ein durchaus positives Fazit, weil ich sehr erfreut war, dass ich dieser ungewöhnlichen Klangmischung beiwohnen durfte. Die Musik gefiel mir so gut, dass ich mir auch seine CDs "Stolen from strangers" und "Lost Memory Theatre - act 1" in der Pause kaufte. Empfehlenswert ist außerdem der Oud-Jazz von Dhafer Youssef, der auf der CD "Stolen from Strangers" beteiligt ist und unter seinem offiziellen YouTube-Konto einige Kostproben seines Könnens anbietet.

Weitere Rezension in der PRESSE von Samir H. Köck. 

Zu viel Aufregung um nichts

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Ich äußere mich hier nicht inhaltlich zum Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD. Die SPD will erstmals die Mitglieder befragen, bevor sie den Sack zu macht. Das ist zwar ein Novum, aber noch nie war die SPD so ein kleines Rad am Wagen einer großen CDU, die fast die absolute Mehrheit errungen hätte. Das verlangt viele Zugeständnisse in einer Koalition ab, und eine Koalition wird kein Pappenstil sein und kann die Stammwählerschaft nachhaltig vergraulen.

Die Bedenken hinter der Befragung verstehe ich nicht, denn die Wähler haben gewöhnlich keine Macht darüber, welche Koalitionen sich später bilden werden. Der Wählerwille zeigt nunmal die CDU auf Platz 1, die SPD auf Platz 2 und Links und Grüne auf 3 und 4. Damit sind drei Koalitionen möglich, oder Neuwahlen. Insofern verstehe ich die Argumentation nicht, die Mitglieder der SPD dürften zwei Mal abstimmen, die Nichtmitglieder nur einmal. Aus welchen Gründen jemand SPD wählt unterliegt dem Recht der geheimen Wahl. Und Abgeordnete lassen sich durch das "abgeordnet sein" bereits von der Parteilinie beeinflussen, in Österreich sagt man auch Klubzwang dazu. Hier mit verfassungsrechtlichen Bedenken zu argumentieren, ist doch etwas weit hergeholt. Wenn natürlich die Mehrheit dahintersteht, ist der demokratische Wille legimitiert, sowohl von den Mitgliedern, was irgendwie logisch ist, als auch vom Wähler, der selbst Schuld ist, wenn er der SPD die Stimme gibt und gleichzeitig keine Koalition mit der CDU will, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse, die schon vor der Wahl recht eindeutig waren, der Katze in den Schwanz beißt. Soll heißen, er muss es hinnehmen, dass die SPD durchaus Interesse hat, wieder mitzuregieren, und dass Neuwahlen wohl kaum etwas ändern würden und irgendwer irgendwann Verantwortung und Mumm zeigen muss. Wem das nicht passt und die SPD in eine andere Richtung (Opposition und damit de fakto Neuwahlen) lenken will, der muss SPD-Mitglied werden. Dabei geht es nicht nur um Befragungen der Mitglieder, sondern auch direkte Einflussnahme auf die politische Linie.

Summa summarum verstehe ich die Diskussion nicht, bin da vermutlich auch zu naiv.

Fürs Protokoll: Shitstorm sowohl gegen Slomka als auch gegen Gabriel empfinde ich als völlig unnötig. Ebenso hilft es in der Debatte nicht, das Interview durch die SPD- oder CDU-Brille anzuschauen, und daraus eine Sexismusdebatte zu machen führt am Inhalt vorbei. Auf fragwürdigen Argumenten tendenziös zu insistieren kann ein J.B. Kerner noch viel besser, siehe damaliger Eva-Hermann-Auftritt. Und da hatte keiner über Sexismus diskutiert, hier ist eher Godwins Law schlagend geworden.

Beispiel Kroatien-Referendum: Homosexualität und Vorurteile

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In Kroatien hat gerade einmal Viertel der Wahlberechtigten bewirkt, dass eine homophobe Verfassung in Europa festgeschrieben wird, vgl.
Kroatien: Besorgniserregende Apathie der Mehrheit(von Siniša Puktalović)
Vertreter der orthodoxen Kirche, der katholischen Kirche, auch Muslime & Juden, sehen sich in ihrer Feldzug gegen Homosexualität vom Volk bestätigt. Eines der gewichtigsten Argumente gegen gleichgeschlechtliche Ehen ist die "Betonung der Sonderstellung von Mann und Frau in der Ehe", denn nur die Fortpflanzung gewähre den Fortbestand der Menschheit. 

Die Antwort liegt - wie so oft - im Tierreich, genauer gesagt, bei unseren engsten Verwandten, den Menschenaffen. Und für diese gibt es den Experten Frans de Waal, ein renommierter Primatenforscher, der schon mehrere Bücher über seine Erfahrungen insbesondere mit Bonobos und Schimpansen geschrieben hat. 

Eines wurde 2006 oder 2007 in der Ö1-Sendung Kontext vorgestellt. 

"Frans de Waal, Der Affe in uns. Warum wir sind, wie wir sind, Hanser-Verlag, 2006"
Darin setzt sich de Waal vor allem mit Bonobos und Schimpansen auseinander. Bonobos sind der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt, zumal sie gelegentlich fälschlicherweise Zwergschimpansen genannt werden (obwohl sie größer als Schimpansen sind). Beide Menschenaffenarten stehen uns Menschen von der Evolution her am nächsten, entsprechend kann man vom Verhalten der Affen stark auf das Verhalten der Menschen schließen.

Schimpansen und Bonobos bilden sozusagen Mr. Jekyll und Dr. Hyde, denn Schimpansen werden als aggressiv und gewalttätig bezeichnet, Bonobos dagegen als friedliebend (auch wenn mittlerweile Kindsmord in freier Wildbahn nachgewiesen wurde) und vor allem sexuell viel aktiver als Schimpansen. Bonobos sind vollkommen bisexuell, sie haben mit allen Sex, außer mit ihrer Mutter (Inzucht ist auch unter Bonobos verpönt). 


Im Kapitel 3: Sex,  Seite 136-141, erläutert de Waal seine Ansichten zum Thema Homosexualität und Fortpflanzung. Die wichtigsten Aussagen habe ich zusammengefasst:

- es gibt ein breites Spektrum von Präferenzen, keine klar zu trennende Sexualität in Homo und Hetero, gerade in unseren Kulturen ist Homosexualität aber mit Ängsten und Tabus besetzt, kein Mann will für einen Homo gehalten werden, und betont daher seine Heterosexualität ("ich bin zwar nicht schwul, aber ...")

- Homosexuelle sind sehr wohl in der Lage, sich zu reproduzieren, viele sind während eines bestimmten Lebensabschnitts vor ihrem Coming Out verheiratet. Viele homosexuelle Paare ziehen Kinder auf.

- sexuelle Präferenzen sind wahrscheinlich genetisch veranlagt, aber es gibt keine Beweisefür eine genetische Differenz zwischen Homo- und Heterosexuellen.

- Sexualität und Liebe/Zuneigung sind oft eng verflechtet (schon Sigmund Freud hat das erkannt): 

"Wenn das andere Geschlecht außer Reichweite ist, beispielsweise in Internaten, Gefängnissen, Klöstern oder auf Schiffen, entwickeln sich gleichgeschlechtliche Sozialbeziehungen oft zu sexuellen weiter, was unter anderen Umständen nicht passiert wäre." (S.138)
- nach Schätzungen/Zufallsstichproben sind weniger als 1 Prozent der Bevölkerung der USA und Großbritannien so radikal homosexuell ist, dass für sie eine Fortpflanzung nie in Frage kommt.

- Homosexualität ist für ein Teil der restlichen 99 Prozent eine Weiterentwicklung, keine "Lifestyle"-Entscheidung, sondern etwas ganz Natürliches, die in einigen Kulturen frei ausgelebt werden kann, in anderen (der unseren) verheimlicht werden muss.

- Bonobos sind vollständig bisexuell sind, d.h. es ist weder eine Präferenz zur Homo- noch zur Heterosexualität gegeben. Zudem ist Homosexualität im Tierreich weit verbreitet, allerdings gibt es keine ausschließlich "schwulen" Tiere. 





Fazit: 


Auch Homosexuelle Paare haben den Wunsch Kinder aufzuziehen und sind natürlich dazu in der Lage (z.B. durch Leihmutter, Adoption), vgl. 
Regenbogen Kindersegen(Portrait von Mia Eidlhuber)
Der Anteil der radikal Homosexuellen, für die Fortpflanzung nie ein Thema sein wird, ist zu gering, um den Fortbestand der Menschheit zu gefährden.

Und noch ein Argument gilt es zu entkräften: 

Der chronische Geburtenrückgang in den letzten Jahrzehnten hat wenig mit Homosexualität und vermehrten Coming Outs zu tun, sondern mit der Unvereinbarkeit von Kind und berufstätigen Eltern und/oder mit steigender finanzieller Belastung. Da ist es Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen zu verbessern, genügend KiTas anzubieten und für Ganztagesschulen zu sorgen, damit beide Elternteile arbeiten gehen können - unabhängig davon, ob sie es wollen oder müssen. Es auf die Emanzipation der Frau zu schieben, ist genauso falsch, denn das Recht auf Arbeit gilt für Mann UND Frau. Viele von uns hatten während ihrer Kindheit zumindest eine Zeit lang sowohl einen berufstätigen Vater als auch eine berufstätige Mutter, und niemand von uns ist deswegen gleich verdorben worden. 

Lars von Trier: Dichtung und Wahrheit

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Bei der Verleihung der "Goldenen Palme von Cannes" kam es bei der Pressekonferenz von Lars von Tier ("Breaking the waves", "Dancer in the dark", "Dogville", "Antichrist") zu seinem Film "Melancholia" zu dem Eklat, der für weltweite Empörung sorgte, und Israel und Argentinien den Film gleich wieder abbestellen ließen. Was war überhaupt passiert? Das erfuhr man leider nur in Teilen, denn in den Nachrichten wurde nur Lars von Triers Antwort abgespielt, nicht aber die Fragestellung der Journalistin - das ist der Knackpunkt!

Hier das komplette Video (leider simultan ins Französische übersetzt, zeigt aber die Frage der Journalistin und von Triers Reaktion):

 
Die englische Journalistin sprach ihn auf seine deutschen Wurzeln an, und ob darauf seine Vorliebe auf der Nazi-Ästhetik in seinen Filmenbegründet sei (es waren zwei Fragen, die erste mit den deutschen Wurzeln, die zweite bezüglich Nazi-Ästhetik). Mit anderen Worten: Sie implizierte "wer deutsch ist, sympathisiert mit den Nazis". Lars von Trier lachte und schüttelte den Kopf, als er die Frage hörte, danach folgten die Kommentare, die für Aufregung sorgten und ohne die vorausgegangene Fragestellung suggerierten, Lars von Trier sei ein Nazi-Sympathisant. Ich rezitiere Lars von Trier nachfolgend vollständig (für jene, die Youtube nicht abspielen können und für gehörlose Leser):

"No, I really wanted to be a Jew, and then I found out that I was really a nazi, you know. Because my family was german, Hartmann, ääh..., which also gave me some pleasure. So I'm kind of a ..., yeah....So I...what can I say..., I understand Hitler."

Bis hierhin macht Lars von Trier nichts anderes, als der Logik der Journalistin zu folgen: Ich hatte deutsche Wurzeln, also verstehe ich Hitler. Vielleicht hätte es Lars von Trier bei dieser Aussage bewenden lassen sollen, damit auch der letzte im Saal versteht, dass es sich um Ironie handelt. Aber Lars von Trier ist ja bekannt für seine Provokationen, also machte er weiter...und grinste dabei immer wieder unverblümt...

"But I....think he did some wrong things, yes, absolutely, but I can see him sitting in his Bunker, in the end."
(Kirsten Dunst flüstert hinter seinem Ohr: "Oh my god, this is so terrible").
"But I...there will come a point at the end of this (sagt er zu Dunst, und weiter zu den Journalisten:). No, I'm just saying I understand the man. He is not what we would call a good guy, yeah, but I understand much about him, and I sympathise with him a little bit. But come on! I'm not for the Second World War. And I'm not against Jews....Susanne Bier is..., no not even Susanne Bier (Gelächter der Journalisten), no that was also a joke. No, I am of course, very much for Jews, no not too much, because Israel is a pain in the ass. But ...still, how can I get out of this sentence?"
(Gelächter, einer von der Pressekonferenz:) "By another question....here is your salvation"

"No I just want to say about the arts of the...I'm very much for Speer. Albert Speer I like. He was also, maybe, one of Gods best children, but he has some talents, that was kind of possible for him to...Ok, I'm a nazi." (Lars von Trier grinst und schlägt symbolisch mit der Faust auf den Tisch)."
Auch der Hintergrund ist natürlich entscheidend, um Lars von Trier zu verstehen: Er ist mit einer Jüdin verheiratet und erzieht seine Kinder ebenfalls jüdisch. Der deutsche Schauspieler Udo von Kier sagt:

Er könne „mit Bestimmtheit sagen“, dass von Trier kein Nazi sei. „Genauso wenig wie er ein Jude ist. Das kann ich bezeugen, denn ich bin sein Freund, seit wir vor 22 Jahren das erste Mal zusammen gearbeitet haben.
Quelle:http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1896757/Udo-Kier-bricht-eine-Lanze-fuer-Lars-von-Trier.html

Fazit: 

Lars von Trier ist weder Antisemit noch Rassist, geschweige denn ein Nazi. Die Journalistin vereinfachte in ihrer Fragestellung sehr massiv, da sie implizierte, Lars von Trier sympathisiere aufgrund seiner deutschen Wurzeln mit der Nazi-Ästhetik. Er antwortete darauf ironisch, wobei später in vielen Nachrichten und Youtube-Videos (bis auf den gezeigten französischen Mitschnitt und einzelne englische Mitschnitte) nur Lars von Triers Äußerungen, aus dem Zusammenhang gerissen, gezeigt wurden. 

Lars von Trier wurde meiner Ansicht nach zu Unrecht an den Pranger gestellt, eher hätte man die Journalistin fragen sollen, ob so ein Schwarzweiß-Denken heute noch zeitgemäß ist, und ob nicht Lars von Trier, sondern England ein Problem mit der Vergangenheitsbewältigung hat:  


Mich hat damals Lars von Triers Musicaldrama über und gegen die Todesstrafe, "Dancer in the dark",  (mit Björk, Peter Stormare, David Morse, Catherine Deneuve) sehr berührt und bewegt. Daher diese Notiz hier zu dem "Eklat". Israel zeigt hier übrigens ähnliche Resistenz gegen Ironie und Satire wie die arabischen Länder bei den dänischen Mohammed-Karikaturen.

PS: Mich erinnerte die Abservierung von Lars von Trier frappant an den inszenierten Rauswurf von Eva Herman, deren Thesen zur Familienpolitik und Äußerungen nach der "Love-Parade"- Tragödie in Duisburg ich zwar wenig abgewinnen kann, der Vorgehensweise von J.B.K. aber auch nicht (gut, wer dort hingeht, ist selbst schuld...). Dazu dieser gutgemachte Youtube-Beitrag von "Fernsehkritik.TV":


Halten wir fest: Wenn es um das sensible Thema Nationalsozialimus und Hitler (aber auch DDR) geht, muss man stark auf den Kontext achten. Häufig werden Aussagen aus den Zusammenhang gerissen und tendenziös wiedergegeben, auch den Hintergrund der Person, die die Aussagen tätigt, muss man beachten.

geschrieben am 25.05.2011, neu veröffentlicht.

Ändert sich das Medienkonsumverhalten mit dem Alter?

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Auf Twitter entstand eine Diskussion zwischen der Chefredakteurin vom Standard, Alexandra Föderl-Schmid, und dem ORF-Journalisten Armin Wolf über das Verhalten der Mediennutzer und ob es sich mit Ende 29 bzw. Anfang 30 noch einmal ändere. Anlass für die Meinungsverschiedenheit war ein Interview mit Föderl-Schmid im Rahmen des Mediengipfels in Lech am Arlberg am vergangenen Wochenende. Dort äußerte sie Folgendes:
Wenn man Ende zwanzig, Anfang dreißig ist, sein Studium fertig hat, in den Beruf eintritt, eine Familie gründet, dann ändert man oft auch sein Medienkonsumverhalten. 
Armin Wolf entgegnete auf Twitter, das Konsumverhälten würde sich auch mit 30 nicht mehr ändern und verweist auf seine Diplomarbeit "Young Audiences, Mass Media, and Political Information, worauf Föderl-Schmid kontert mit
da sind Zahlen aus USA , Japan, deutschland..Österreich ist anders
Tatsächlich ist das (Print-) Zeitungssterben in Österreich nicht so markant ausgeprägt wie etwa in Deutschland. Auf der roten Liste stehen zwar Zeitungen wie Salzburger Volkszeitung, Kärntner Tageszeitung oder Wirtschaftsblatt, die zusammen jedoch auch nur knapp 1 % der Reichweite ausmachen. Dem gegenüber konnte DerStandard sogar steigende Print-Abo-Zahlen verzeichnen, obwohl es die Inhalte auch online gratis verfügbar gibt.

Mein Medienkonsumverhalten

In der Schulzeit die Tageszeitung (damals nur Print) und das wirklich nahezu täglich, wobei der Aus-aller-Welt-Teil zunehmend boulevardisiert wurde. Schaue ich mit zehn Jahren Pause wieder in meine alte Lokalzeitung, sind acht von zehn Meldungen über VIP und Tiere, also zur Unterhaltung von Gossip-JüngerInnen und Kindern gedacht, aber nicht mehr zum 'über dem Tellerrand schauen'. Zudem auch über Jahre das Fernsehen, Tagesschau in der ARD als tägliches Ritual, später auch die Tagesthemen, manchmal auch das heute journal (ZDF). Das Radio diente mehr zur Unterhaltung.

Im Studium kam ich seltener zum Lesen bzw. wurde dieses lange Zeit vom Internet verdrängt, wobei damit explizit NICHT Online-Nachrichten gemeint sind, sondern eher Chats und Foren. Nur während längerer Bahnfahrten, etwa nach Hause, kaufte ich mir häufig Presse und Standard - einer Tradition, der ich jetzt seit etwa neun Jahren fröne.

Im Februar 2006 gab ich meinen 2003 gekauften Fernseher wieder zu Hause ab, was ich nie bereut habe. Das österreichische TV-Programm war mir zu dünn, und nur wegen dem Columbo am Sonntag ab Mitternacht extra GIS-Gebühren zahlen habe ich auch nicht eingesehen. Receiver wollte ich mir damals keinen leisten. Dafür fing ich etwa 2005 schon damit an, regelmäßig Ö1 zu hören, insbesondere die Berichterstattung zu den Nationalratswahlen 2006 verfolgte ich intensiv mit.

Seit ich in Wien lebe und arbeite, ist mein Medienkonsumverhalten intensiver, aber gleichzeitig auch gezielter geworden. Radio höre ich fast täglich, und fast ausschließlich Ö1, zur Information am liebsten das Mittag- und Abendjournal sowie Journalpanorama, zur Unterhaltung und Fortbildung "Von 1 bis 2", die Spielräume, Von Tag zu Tag, im Gespräch und natürlich die lange Jazznacht von 23 bis 6 Uhr von Samstag auf Sonntag, was mir besonders bei Nachtdiensten ein Freudenfest ist.

Neben der Radionutzung ist dank Twitter auch die Tvthek-Nutzung gezielter geworden. Sicherlich habe ich die Mediatheken der anderen TV-Sender schon davor benutzt, aber auf ORF schaue ich jetzt auch regelmäßiger die Pressestunde, ImZentrum, ORFReport und eben die zib2, gerne auch nachträglich, zumal man via Twitter die Journalisten und Macher, die hinter den Produktionen stehen, direkt anschreiben und deren Diskussionen untereinander verfolgen kann. Ein Nachteil ist sicherlich, Artikeln und Produktionen nicht mehr unvoreingenommen gegenüber stehen zu können, wenn man die ideologische Ausrichtung des Produzenten kennt.

Dieses Jahr habe ich erstmals mit dem Falter eine Wochenzeitung abonniert, und lese auch verstärkt (meist online) Kurier und Profil. Insgesamt halten sich Print und Online bei mir die Waage, wenngleich ich Print immer bevorzuge, da ich dann weniger abgelenkt bin.

Boulevardzeitungen wie das Gratis-U-Bahn-Blatt Heute, die Kronenzeitung sowie Österreich, deren Verteiler ich in der Früh an den U-Bahn-Stationen immer wiederwillig ausweiche, sind nie an mich gegangen. Zwar habe ich in den ersten Wochen in Wien auch die Heute gelesen, damit die U-Bahn-Fahrt schneller vorbeigeht, mich über die Inhalte aber nur aufgeregt und es dann ganz sein gelassen.

Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: Hat sich mein Medienkonsumverhalten geändert? 

Ich denke, diese Frage lässt sich in Zeiten des rapiden Medientechnologiewandels schwierig beantworten. Zeitung ist eben nicht mehr Zeitung, und hätte ich Twitter nicht entdeckt, wäre mein Konsumverhalten wohl gleich geblieben. Gerade durch die Gratis-Zurverfügungstellung im Internet hat sich bei vielen Zeitungen unreflektiertes copy & paste von Presseagenturmeldungen rasant vermehrt, womit nicht nur der individuelle Stil abhanden gekommen ist, sondern einem als Wissenschaftler auch das persönliche Grausen kommt; die Ausnahmen zu finden ist die große Herausforderung im 21. Jahrhundert, das Zeitalter des großen Zeitungssterbens.

Abendland im Untergang

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Zwei wesentliche Wünsche der FPÖ wurden durch die 13. Neuauflage der Großen Koalition zwischen ÖVP, die 49 % der Stimmen erreichte, und der SPÖ, die 2 % der Stimmen für sich beanspruchen konnte, erfüllt:

Das Integrationsstaatssekretaritat wandert ins Außenministerium und das Wissenschaftsministerium ins Wirtschaftsministerium.

Die Duldung einer ÖVP-Minderheitenregierung durch die FPÖ ist damit realisiert worden.

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