30. September, 22.44, vorläufiges Endergebnis laut ORF bei 75 % Wahlbeteiligung, inkl. der meisten Wahlkarten. Am Donnerstag wird das endgültige absolute letzendliche Endergebnis bekanntgegeben, dann werde ich die Liste hier aktualisieren:
SPÖ 26,9
ÖVP 24,0
FPÖ 20,6
BZÖ 3,5
Grüne 12,3
Frank 5,7
NEOS 4,9
Das ist Demokratie, damit muss ich leben. Rational ist nichts davon, das ist Österreich.
Parteienlandschaft in Österreich
In Österreich existieren drei Lager: Die Linken, die Bürgerlichen und die Liberalen.
Die FPÖ ging 1956 aus dem Verband der Unabhängigen hervor, ein Sammelbecken für Altnazis (gegründet 1949). Von der FPÖ gab es seither immer wieder wirtschaftsliberale Abspaltungen: Das Liberale Forum (LiF, 1993), das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ, 2005) und Team Stronach (2012 als Abspaltung des BZÖ hervorgegangen). Die NEOS bestehen aus einem Wahlbündnis von LiF und Juli (Jungliberale) - ihr Gründungsmitglied Matthias Strolz war parlamentarischer Mitarbeiter bei der Vorarlberger ÖVP.
Wie man sieht, entstehen neue, parlamentsfähige Parteien vorwiegend im rechtsliberalen Sektor. Von den Grünen abgesehen gibt es keine starke Linke wie in Deutschland, obwohl im Gegensatz zu Deutschland die KPÖ nicht verboten ist. Auf KPÖ, Piraten, Sozialistische Linkspartei (SLP) und weitere Parteien am linken Rand entfallen aber insgesamt weniger als 4 % der Stimmen: eine Teilnahme am Nationalrat undenkbar.
Zuletzt ist da noch die Gruppe der Nichtwähler, wo ich meine ursprüngliche Ansicht etwas revidieren muss, denn viele Nichtwähler bleiben - no na net - aus Frust zuhause, und möglicherweise hätten die radikalen Ränder noch mehr Stimmen, läge die Wahlbeteiligung deutlich höher.
Das sind die Rahmenbedingungen, erklärt aber immer noch nicht die Gretchenfrage, die viel meiner Landsmänner und Landsfrauen stellen, wenn sie das erste Mal in Österreich zu Besuch oder eingewandert sind:
Warum wählen so viele Österreicher rechts?
Am liebsten möchte ich ja antworten, dass die FPÖ gar nicht rechtsradikal oder rechtsextremistisch sei und mit der NPD etwa nicht vergleichbar ist. Das ist leider nur die halbe Wahrheit.
Rechtsextremes Gedankengut bei der FPÖ
Wie beim Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf, der Mitglied in einer rechtsextremen Burschenschaft ist und dessen Mitarbeiter bei neonazistischem Versandhandel Artikel bestellen; wie bei zahlreichen, hochrangigen (Bürgermeister, Abgeordnete) FPÖlern, die in der Öffentlichkeit immer wieder durch Nazisager, homophobe Äußerungen und sonstige Aktionen auffallen, die in Deutschland sofort einen Aufschrei hervorrufen würden; durch aggressiven Anti-Ausländer-Wahlkampf, dem Kampf gegen (vermeintliche) "Scheinasylanten" und mit Aussagen wie "Umvolkung", "Bevölkerungsaustausch", "Import von kriminellen Ausländern"; die das Leid der Juden unter dem Austrofaschismus und Nazi-Österreich mit Aussagen wie "Wir sind die neuen Juden" und "Das war wie die Reichskristallnacht" ad absurdum führen, wenn es zu - zugegeben gewalttätigen - Ausschreitungen bei Linksdemos gegen den WKR-Ball kommt, einen Akademikerball, der von der FPÖ organisiert wird und zu dem zahlreiche rechtsextreme Burschenschaften und namhafte Mitglieder rechtsextremer Parteien in Europa kommen, der Ball findet dann ausgerechnet in der für das Land repräsentativen Hofburg statt; wenn zu Wahlkampfveranstaltungen der FPÖ Jugendliche den Hitlergruß erheben und dies weder medial noch in der Bevölkerung zum Aufschrei veranlasst; wenn - wie vom BZÖ im NR-Wahlkampf 2008 mit Haider als Titelbild plakatiert wird "Österreich den Österreichern"; beredtes Zeugnis liefert auch die Website des österreichischen Unternehmers, SPÖ-Mitglied und ehemaligen Präsidenten der Israelischen Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant, ab.
Mangel an signifikanten Protestparteien in Österreich
Es kann folglich also niemand, der sich ein wenig über Hintergründe informiert, behaupten, die FPÖ hätte keinen braunen Dreck am Stecken. In Deutschland ist die Schlussfolgerung klar: Die NPD wird als Protestpartei - glücklicherweise - kaum ernstgenommen, bei der letzten Bundestagswahl hat man die AfD gewählt, die eher zum rechtsliberalen Flügel der CDU zählt, und bei der Ideen, Asylanten das Recht auf Arbeit zu geben, eher als "Ausländer als Nützlinge für die Wirtschaft" interpretiert werden müssen, weniger, ihnen das Grundrecht (auf Arbeit) aus ethisch-moralischer Verpflichtung zu gewährleisten. Abseits der AfD existiert mit der Linkspartei (die sich aus der ehemaligen SED-PDS der ehemaligen DDR und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, WASG zusammensetzt) eine starke linke Protestpartei, die Missstände aufzeigt, wenngleich über Lösungsvorschläge natürlich gestritten werden darf. In Österreich fehlt diese linke Protestpartei schlichtweg, die Grünen sind offenbar zu sanft.
Rolle der Berichterstattung in den Medien
Auch das ist nicht die eigentliche Ursache für die Dominanz fremdenfeindlichen Gedankenguts in Österreich. Sicherlich spielen die Medien eine wichtige Rolle, da der Boulevard in Österreich, anders als in Deutschland, eine tragende Rolle einnimmt. Doch selbst Qualitätszeitungen berichten bisweilen tendenziös, wie DiePresse über die Einführung einer Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße (auf Twitter unter den Hashtags #FuZo #BeZo und #Mahü zu finden). Tendenziell negativ wird über Reformvorhaben, über Proteste und Demonstrationen berichtet - ganz schlecht kommen dabei Akademiker, Zuwanderer und Flüchtlinge weg. Visionen, rationale Argumente und unwiderlegbare Fakten haben es in Österreich schwer, auf fruchtbaren Boden zu fallen. Die Piratenpartei etwa erreichte trotz NSA-Überwachungskandal und Vorratsdatenspeicherung in Österreich weniger als Prozent der Stimmen. Sie war in den Medien schlichtweg nicht präsent - das Thema hat auch nicht wirklich jemanden interessiert.
Geschichtsverständnis
Österreich hinkt mit der Aufklärung seiner Mitwirkung (nicht nur als Opfer) in der NS-Zeit hinterher. Wer sich heute auf Wiens Friedhöfen umschaut, etwa im Zentralfriedhof, sieht vielfach verfallene, schlecht gepflegte, beschädigte oder bestohlene jüdische Gräber - erst jetzt subventioniert die Stadtregierung den Erhalt der Gräber. Einen ausführlichen Artikel zur Aufarbeitung der Nazizeit in Österreich, zu Re-Austrifizierung und Umbenennungen von Denkmälern hat Presse-Journalist Manfried Rauchensteiner hier geschrieben - zeitlos aktuell. Wenn ich meinen Geschichtsunterricht in Deutschland und jenen in Österreich, den ich vom Hörensagen kenne, Revue passieren lasse, dann wird in Deutschland mehr getan, während man in Österreich die Zeit des Austrofaschismus übergeht.
Die jungen Wähler
Problematisch an einem Wahlrecht ab 16 ist die mangelnde geistige Reife und politischer Bildung in diesem Alter. Es fehlen entsprechend zeitgemäße Fächer wie Medienkompetenz und politische Bildung.
Die Altersstruktur der Wähler zeigt, dass 30 % der Wähler unter 29 die FPÖ wählen, davon ist die Mehrheit männlich, in der Lehre tätig und besitzt keinen höheren Schulabschluss.
Perspektivlosigkeit und Reformstau
Nun haben wir geklärt, warum die FPÖ nicht als rechtsradikale Partei wahrgenommen wird. Es erklärt allerdings nicht, warum sich Österreicher für Stronach entscheiden, der nicht angegurtet bei der ORF-Wahlfahrt für die Todesstrafe ist (schlechte Vorbildfunktion und moralisch verwerflich), und warum sie der FPÖ mit ihrem absurden "Nächstenliebe"-Wahlkampf auf den Leim gehen, deren Verwicklung in die Hypo Alpe Adria-Causa dem Steuerzahler sieben mal mehr kostet als er bisher für Griechenland aufgewandt hat.
Der Schlüssel ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit: Noch nie war es für Jugendliche so schwierig, einen gesicherten Arbeitsplatz zu finden. Niedriglohn- und Leiharbeitersektor schießen wie Schwammerl aus dem Boden. Familie gründen, sesshaft werden, eine sichere Pension, die zum Leben reicht - darauf weiß die Politik derzeit keine Antwort. Strache versteht es geschickt, die Akademikerfeindlichkeit in Österreich zu nutzen, um Akademikerberufe (bzw. Studium) und Lehre/Ausbildung gegeneinander auszuspielen. Arbeitslosenzahlen in Österreich sind deswegen so niedrig, weil die Lehrlinge in Ausbildungs- und Fortbildungskursen verschwinden. 86 % der Hauptschulabgänger erfüllen die Mindeststandards nicht, die der Abschluss voraussetzt.
Weiters sträuben sich die Konservativen und Blauen weiterhin gegen das Schreckgespenst Gesamtschule als Zwangsschule, obwohl es gerade die Bildungsschancen der Kinder der sozial schwächeren Eltern fördern würde. Die Grünen sind außerdem für ein weiteres verpflichtendes Jahr Kindergarten, was die ÖVP als Zwangskindergarten abtut.
***
Migration als Totschlagargument
Es gibt gute Gründe, auf mehr Kindergarten, Gesamtschule, spezifische Förderungen und professionellen Sprachunterricht in der Muttersprache zu setzen: Der Migrantenanteil steigt stetig und das ist per se nichts Schlechtes, auch wenn anders dargestellt wird. Zu selten wird über Talente, Potentiale und schlichtweg positive Zahlen aus dem Bereich Migration (der eigentlich Inklusion heißen müsste, tatsächlich aber die Bedeutung von Segregation hat, wenn man an das neue Staatsbürgerschaftsgesetz denkt) berichtet. Nur hat man in der Vergangenheit Fehler gemacht, weil man davon ausging, dass die meisten Gastarbeiter wieder in ihrer Heimatland zurückkehren. Man hat sich nicht genügend um Inklusion bemüht und inzwischen sind schon 20 pakistanische Flüchtlinge, die für ihre Grund- und Menschenrechte aufbegehren, zu viel.
Europa und Griechenland
Wie bereits oben geschrieben, kosten autochthon verursachte Skandale, ob Spekulationsskandal in Salzburg oder Hypo Alpe Adria, dem Staat Österreich (und damit dem Steuerzahler) mehr als die Griechenlandhilfe, was letztere jetzt nicht rechtfertigen soll. Was doch immer mehr Menschen sehen, aber weder ÖVP, SPÖ noch Grüne noch die deutschen Volksparteien zugeben wollen: Gerettet werden Banken, nicht Menschen. Hier geht es nicht um die Sanierung Griechenlands oder anderer Pleitestaaten, sondern darum, gerade jenen Bevölkerungsanteil, der am allerwenigsten etwas für die Krise kann, totzusparen. Das lässt die Jugendarbeitslosigkeit weiter steigen, die Menschen können sich keine Krankenversicherung mehr leisten, bzw. werden nicht einmal mehr behandelt. Aus der Wut resultiert Extremismus, Neonazis rückerobern die Macht. Sündenböcke werden gesucht: Muslime, Juden, Roma - Migranten generell. Das Geld der Reichen wird nicht angetastet - zu stark der Filz, das angewiesen sein auf Korruption und die Furcht vor der Steuerflucht.
Barrierefreiheit, Überwachungsstaat und Klimawandel unwichtig
In meinen Augen denken die Menschen (generell) schasaugert, wenn es um Zukunftsthemen geht.
Über 600 000 Menschen in Österreich haben eine "starke Beeinträchtigung". Der öffentliche Bereich ist erst zu 40 % barrierefrei. Im öffentlichen Verkehr gibt es viel Nachholbedarf, erst recht, was Geschäfte und Lokale betrifft. Beispiel: Das Wiener Verkehrsnetz besitzt zu wenig Rolltreppen, die abwärts führen - die vorhandenen Aufzüge reichen nicht aus, um dieses Manko zu kompensieren. Stiegen hinaufsteigen kostet zwar mehr Kraft, hinabsteigen geht dafür stärker in malade Knie. Aufzüge sind nicht nur für Rollstuhlbenutzer notwendig, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen und für Radfahrer. Es gibt zu wenig Anerkennung für Pflege, für Altenheime, für Handicap im Job. Die Gesellschaft altert, jeder von uns kann einmal auf Barrierefreiheit angewiesen sein.
Medienkompetenz ist wichtig, um die Sammelwut des Staates, der Firmen, von Apps und von sozialen Netzwerken zu begreifen. All das, was von uns gespeichert wird, bleibt harmlos, bis es missbraucht wird. Die Hackergruppe Anonymous zeigt auf, was passiert, wenn sensible Daten in die falschen Hände geraten. Die Transparenz setzt leider nicht beim Staat, sondern beim Bürger an.
Der Klimawandel lässt sich nicht losgelöst von Natur & Umwelt betrachten: Der Eingriff des Menschen in die Natur durch Landwirtschaft, Flächenversiegelung und steigendem Versicherungswert der (Konsum-) Güter potenziert die Gefahren bei dem, was sich landläufig Unwetter nennt. Ein Hochwasser, das sich kilometerweit ausbreiten kann, ohne Siedlungen und Ackerflächen zu überschwemmen, ist harmlos. Wir müssen damit leben, dass das, was früher keine Naturkatastrophe war, durch das bloße Dasein des Menschen zu einer wird. Wir können den Klimawandel nicht aufhalten, er ist eine wissenschaftliche Tatsache. Da wir nicht genau wissen, wie sehr wir ihn beeinflussen, wissen wir auch nicht, ob unsere Bemühungen, ihnen abzumildern, überhaupt wirksam sind, geschweige denn, mit welcher Verzögerung dies eintritt. Ihn schlichtweg zu ignorieren ist aber, von nihilistischer Herangehensweise abgesehen, der falsche Weg. Präventivmaßnahmen sind wichtig. Vergessen wird bei allen Diskussionen über Kohlendioxidausstoß und Erderwärmung, dass unsere Ressourcen endlich sind und ein sparsamer Umgang schon deswegen notwendig ist. Der Krieg um Wasser, Öl und Landwirtschaftsflächen hat bereits begonnen. Leider ist das Ende der Ressourcen generationenweit entfernt, und so weit denken die meisten Menschen nicht, ja, soweit denken nicht einmal Eltern, die alles dafür tun, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Wirklich alles?
Fazit:
Ich habe den Bogen jetzt weit gespannt - von der Parteienlandschaft über den rechten Flügel bis zu den brennenden Themen, bei denen sich die Große Koalition seit dem Reaktorunfall schwarzblau gegenseitig in den Stillstand treibt. Der Mangel einer echten, linken Alternative bzw. einem starken linken Bündnis, das nicht daran interessiert, bloß Bashing der Rechten zu betreiben (wie im Fußballstadion die Schmähgesänge der gegnerischen Mannschaft), sondern tatsächlich Finger in die Wunden der Gegenwart zu legen und mit rationalen Argumenten nach Lösungen sucht, wiegt schwer - jedenfalls aus der Sicht eines Deutschen.
SPÖ 26,9
ÖVP 24,0
FPÖ 20,6
Grüne 12,3
Frank 5,7
NEOS 4,9
Quo vadis?
Rotschwarz oder schwarzblaustronach - darauf läuft es hinaus. Und wenn die Roten in die Koalitionsverhandlungen mit schwarz gehen, hat schwarz wieder einmal die besseren Karten, könnten sie doch im Falle eines Scheiterns ihrer Forderungen/Ansprüche mit schwarzblaustronach drohen. Beide Varianten sind irgendwie... arg.
Leseempfehlungen:
Weil das nun doch sehr lang geworden ist, hier noch ein paar (kürzere) Blogaufarbeitungen (Auswahl):
ÖVP 24,0
FPÖ 20,6
BZÖ 3,5
Grüne 12,3
Frank 5,7
NEOS 4,9
Das ist Demokratie, damit muss ich leben. Rational ist nichts davon, das ist Österreich.
Parteienlandschaft in Österreich
In Österreich existieren drei Lager: Die Linken, die Bürgerlichen und die Liberalen.
- Die SPÖ ist durch jahrzehntelange große Koalitionen soweit in die bürgerliche Mitte vorgerückt, dass sie zunehmend weniger die Interessen der Arbeiter und der Minderheiten vertritt
- DieÖVP befindet sich - Glück im Unglück - soweit rechts der Mitte, dass sie Hardliner-Positionen des rechten Rands übernimmt und den Parteien im extremen Spektrum die Stimmen abgräbt.
- Die Grünen sind weiterhin sie selbst, wenngleich sie durch die Anbiederung an die ÖVP und Stronach in den Landesparlamenten zwar Regierungsfähigkeit demonstrieren, aber auch ihre Stammklientel vergrault.
Die FPÖ ging 1956 aus dem Verband der Unabhängigen hervor, ein Sammelbecken für Altnazis (gegründet 1949). Von der FPÖ gab es seither immer wieder wirtschaftsliberale Abspaltungen: Das Liberale Forum (LiF, 1993), das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ, 2005) und Team Stronach (2012 als Abspaltung des BZÖ hervorgegangen). Die NEOS bestehen aus einem Wahlbündnis von LiF und Juli (Jungliberale) - ihr Gründungsmitglied Matthias Strolz war parlamentarischer Mitarbeiter bei der Vorarlberger ÖVP.
Wie man sieht, entstehen neue, parlamentsfähige Parteien vorwiegend im rechtsliberalen Sektor. Von den Grünen abgesehen gibt es keine starke Linke wie in Deutschland, obwohl im Gegensatz zu Deutschland die KPÖ nicht verboten ist. Auf KPÖ, Piraten, Sozialistische Linkspartei (SLP) und weitere Parteien am linken Rand entfallen aber insgesamt weniger als 4 % der Stimmen: eine Teilnahme am Nationalrat undenkbar.
Zuletzt ist da noch die Gruppe der Nichtwähler, wo ich meine ursprüngliche Ansicht etwas revidieren muss, denn viele Nichtwähler bleiben - no na net - aus Frust zuhause, und möglicherweise hätten die radikalen Ränder noch mehr Stimmen, läge die Wahlbeteiligung deutlich höher.
Das sind die Rahmenbedingungen, erklärt aber immer noch nicht die Gretchenfrage, die viel meiner Landsmänner und Landsfrauen stellen, wenn sie das erste Mal in Österreich zu Besuch oder eingewandert sind:
Warum wählen so viele Österreicher rechts?
Am liebsten möchte ich ja antworten, dass die FPÖ gar nicht rechtsradikal oder rechtsextremistisch sei und mit der NPD etwa nicht vergleichbar ist. Das ist leider nur die halbe Wahrheit.
Rechtsextremes Gedankengut bei der FPÖ
Wie beim Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf, der Mitglied in einer rechtsextremen Burschenschaft ist und dessen Mitarbeiter bei neonazistischem Versandhandel Artikel bestellen; wie bei zahlreichen, hochrangigen (Bürgermeister, Abgeordnete) FPÖlern, die in der Öffentlichkeit immer wieder durch Nazisager, homophobe Äußerungen und sonstige Aktionen auffallen, die in Deutschland sofort einen Aufschrei hervorrufen würden; durch aggressiven Anti-Ausländer-Wahlkampf, dem Kampf gegen (vermeintliche) "Scheinasylanten" und mit Aussagen wie "Umvolkung", "Bevölkerungsaustausch", "Import von kriminellen Ausländern"; die das Leid der Juden unter dem Austrofaschismus und Nazi-Österreich mit Aussagen wie "Wir sind die neuen Juden" und "Das war wie die Reichskristallnacht" ad absurdum führen, wenn es zu - zugegeben gewalttätigen - Ausschreitungen bei Linksdemos gegen den WKR-Ball kommt, einen Akademikerball, der von der FPÖ organisiert wird und zu dem zahlreiche rechtsextreme Burschenschaften und namhafte Mitglieder rechtsextremer Parteien in Europa kommen, der Ball findet dann ausgerechnet in der für das Land repräsentativen Hofburg statt; wenn zu Wahlkampfveranstaltungen der FPÖ Jugendliche den Hitlergruß erheben und dies weder medial noch in der Bevölkerung zum Aufschrei veranlasst; wenn - wie vom BZÖ im NR-Wahlkampf 2008 mit Haider als Titelbild plakatiert wird "Österreich den Österreichern"; beredtes Zeugnis liefert auch die Website des österreichischen Unternehmers, SPÖ-Mitglied und ehemaligen Präsidenten der Israelischen Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant, ab.
Mangel an signifikanten Protestparteien in Österreich
Es kann folglich also niemand, der sich ein wenig über Hintergründe informiert, behaupten, die FPÖ hätte keinen braunen Dreck am Stecken. In Deutschland ist die Schlussfolgerung klar: Die NPD wird als Protestpartei - glücklicherweise - kaum ernstgenommen, bei der letzten Bundestagswahl hat man die AfD gewählt, die eher zum rechtsliberalen Flügel der CDU zählt, und bei der Ideen, Asylanten das Recht auf Arbeit zu geben, eher als "Ausländer als Nützlinge für die Wirtschaft" interpretiert werden müssen, weniger, ihnen das Grundrecht (auf Arbeit) aus ethisch-moralischer Verpflichtung zu gewährleisten. Abseits der AfD existiert mit der Linkspartei (die sich aus der ehemaligen SED-PDS der ehemaligen DDR und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit, WASG zusammensetzt) eine starke linke Protestpartei, die Missstände aufzeigt, wenngleich über Lösungsvorschläge natürlich gestritten werden darf. In Österreich fehlt diese linke Protestpartei schlichtweg, die Grünen sind offenbar zu sanft.
Rolle der Berichterstattung in den Medien
Auch das ist nicht die eigentliche Ursache für die Dominanz fremdenfeindlichen Gedankenguts in Österreich. Sicherlich spielen die Medien eine wichtige Rolle, da der Boulevard in Österreich, anders als in Deutschland, eine tragende Rolle einnimmt. Doch selbst Qualitätszeitungen berichten bisweilen tendenziös, wie DiePresse über die Einführung einer Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße (auf Twitter unter den Hashtags #FuZo #BeZo und #Mahü zu finden). Tendenziell negativ wird über Reformvorhaben, über Proteste und Demonstrationen berichtet - ganz schlecht kommen dabei Akademiker, Zuwanderer und Flüchtlinge weg. Visionen, rationale Argumente und unwiderlegbare Fakten haben es in Österreich schwer, auf fruchtbaren Boden zu fallen. Die Piratenpartei etwa erreichte trotz NSA-Überwachungskandal und Vorratsdatenspeicherung in Österreich weniger als Prozent der Stimmen. Sie war in den Medien schlichtweg nicht präsent - das Thema hat auch nicht wirklich jemanden interessiert.
Geschichtsverständnis
Österreich hinkt mit der Aufklärung seiner Mitwirkung (nicht nur als Opfer) in der NS-Zeit hinterher. Wer sich heute auf Wiens Friedhöfen umschaut, etwa im Zentralfriedhof, sieht vielfach verfallene, schlecht gepflegte, beschädigte oder bestohlene jüdische Gräber - erst jetzt subventioniert die Stadtregierung den Erhalt der Gräber. Einen ausführlichen Artikel zur Aufarbeitung der Nazizeit in Österreich, zu Re-Austrifizierung und Umbenennungen von Denkmälern hat Presse-Journalist Manfried Rauchensteiner hier geschrieben - zeitlos aktuell. Wenn ich meinen Geschichtsunterricht in Deutschland und jenen in Österreich, den ich vom Hörensagen kenne, Revue passieren lasse, dann wird in Deutschland mehr getan, während man in Österreich die Zeit des Austrofaschismus übergeht.
Die jungen Wähler
Problematisch an einem Wahlrecht ab 16 ist die mangelnde geistige Reife und politischer Bildung in diesem Alter. Es fehlen entsprechend zeitgemäße Fächer wie Medienkompetenz und politische Bildung.
Quelle: APA/ORF-Wahlbefragung/SORA/ISA - Details hier |
Perspektivlosigkeit und Reformstau
Nun haben wir geklärt, warum die FPÖ nicht als rechtsradikale Partei wahrgenommen wird. Es erklärt allerdings nicht, warum sich Österreicher für Stronach entscheiden, der nicht angegurtet bei der ORF-Wahlfahrt für die Todesstrafe ist (schlechte Vorbildfunktion und moralisch verwerflich), und warum sie der FPÖ mit ihrem absurden "Nächstenliebe"-Wahlkampf auf den Leim gehen, deren Verwicklung in die Hypo Alpe Adria-Causa dem Steuerzahler sieben mal mehr kostet als er bisher für Griechenland aufgewandt hat.
Der Schlüssel ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit: Noch nie war es für Jugendliche so schwierig, einen gesicherten Arbeitsplatz zu finden. Niedriglohn- und Leiharbeitersektor schießen wie Schwammerl aus dem Boden. Familie gründen, sesshaft werden, eine sichere Pension, die zum Leben reicht - darauf weiß die Politik derzeit keine Antwort. Strache versteht es geschickt, die Akademikerfeindlichkeit in Österreich zu nutzen, um Akademikerberufe (bzw. Studium) und Lehre/Ausbildung gegeneinander auszuspielen. Arbeitslosenzahlen in Österreich sind deswegen so niedrig, weil die Lehrlinge in Ausbildungs- und Fortbildungskursen verschwinden. 86 % der Hauptschulabgänger erfüllen die Mindeststandards nicht, die der Abschluss voraussetzt.
Weiters sträuben sich die Konservativen und Blauen weiterhin gegen das Schreckgespenst Gesamtschule als Zwangsschule, obwohl es gerade die Bildungsschancen der Kinder der sozial schwächeren Eltern fördern würde. Die Grünen sind außerdem für ein weiteres verpflichtendes Jahr Kindergarten, was die ÖVP als Zwangskindergarten abtut.
***
Migration als Totschlagargument
Es gibt gute Gründe, auf mehr Kindergarten, Gesamtschule, spezifische Förderungen und professionellen Sprachunterricht in der Muttersprache zu setzen: Der Migrantenanteil steigt stetig und das ist per se nichts Schlechtes, auch wenn anders dargestellt wird. Zu selten wird über Talente, Potentiale und schlichtweg positive Zahlen aus dem Bereich Migration (der eigentlich Inklusion heißen müsste, tatsächlich aber die Bedeutung von Segregation hat, wenn man an das neue Staatsbürgerschaftsgesetz denkt) berichtet. Nur hat man in der Vergangenheit Fehler gemacht, weil man davon ausging, dass die meisten Gastarbeiter wieder in ihrer Heimatland zurückkehren. Man hat sich nicht genügend um Inklusion bemüht und inzwischen sind schon 20 pakistanische Flüchtlinge, die für ihre Grund- und Menschenrechte aufbegehren, zu viel.
Europa und Griechenland
Wie bereits oben geschrieben, kosten autochthon verursachte Skandale, ob Spekulationsskandal in Salzburg oder Hypo Alpe Adria, dem Staat Österreich (und damit dem Steuerzahler) mehr als die Griechenlandhilfe, was letztere jetzt nicht rechtfertigen soll. Was doch immer mehr Menschen sehen, aber weder ÖVP, SPÖ noch Grüne noch die deutschen Volksparteien zugeben wollen: Gerettet werden Banken, nicht Menschen. Hier geht es nicht um die Sanierung Griechenlands oder anderer Pleitestaaten, sondern darum, gerade jenen Bevölkerungsanteil, der am allerwenigsten etwas für die Krise kann, totzusparen. Das lässt die Jugendarbeitslosigkeit weiter steigen, die Menschen können sich keine Krankenversicherung mehr leisten, bzw. werden nicht einmal mehr behandelt. Aus der Wut resultiert Extremismus, Neonazis rückerobern die Macht. Sündenböcke werden gesucht: Muslime, Juden, Roma - Migranten generell. Das Geld der Reichen wird nicht angetastet - zu stark der Filz, das angewiesen sein auf Korruption und die Furcht vor der Steuerflucht.
Barrierefreiheit, Überwachungsstaat und Klimawandel unwichtig
In meinen Augen denken die Menschen (generell) schasaugert, wenn es um Zukunftsthemen geht.
- Barrierefreiheit:
Über 600 000 Menschen in Österreich haben eine "starke Beeinträchtigung". Der öffentliche Bereich ist erst zu 40 % barrierefrei. Im öffentlichen Verkehr gibt es viel Nachholbedarf, erst recht, was Geschäfte und Lokale betrifft. Beispiel: Das Wiener Verkehrsnetz besitzt zu wenig Rolltreppen, die abwärts führen - die vorhandenen Aufzüge reichen nicht aus, um dieses Manko zu kompensieren. Stiegen hinaufsteigen kostet zwar mehr Kraft, hinabsteigen geht dafür stärker in malade Knie. Aufzüge sind nicht nur für Rollstuhlbenutzer notwendig, sondern auch für Eltern mit Kinderwagen und für Radfahrer. Es gibt zu wenig Anerkennung für Pflege, für Altenheime, für Handicap im Job. Die Gesellschaft altert, jeder von uns kann einmal auf Barrierefreiheit angewiesen sein.
- Überwachungsstaat:
Medienkompetenz ist wichtig, um die Sammelwut des Staates, der Firmen, von Apps und von sozialen Netzwerken zu begreifen. All das, was von uns gespeichert wird, bleibt harmlos, bis es missbraucht wird. Die Hackergruppe Anonymous zeigt auf, was passiert, wenn sensible Daten in die falschen Hände geraten. Die Transparenz setzt leider nicht beim Staat, sondern beim Bürger an.
- Klimawandel, Natur & Umwelt:
Der Klimawandel lässt sich nicht losgelöst von Natur & Umwelt betrachten: Der Eingriff des Menschen in die Natur durch Landwirtschaft, Flächenversiegelung und steigendem Versicherungswert der (Konsum-) Güter potenziert die Gefahren bei dem, was sich landläufig Unwetter nennt. Ein Hochwasser, das sich kilometerweit ausbreiten kann, ohne Siedlungen und Ackerflächen zu überschwemmen, ist harmlos. Wir müssen damit leben, dass das, was früher keine Naturkatastrophe war, durch das bloße Dasein des Menschen zu einer wird. Wir können den Klimawandel nicht aufhalten, er ist eine wissenschaftliche Tatsache. Da wir nicht genau wissen, wie sehr wir ihn beeinflussen, wissen wir auch nicht, ob unsere Bemühungen, ihnen abzumildern, überhaupt wirksam sind, geschweige denn, mit welcher Verzögerung dies eintritt. Ihn schlichtweg zu ignorieren ist aber, von nihilistischer Herangehensweise abgesehen, der falsche Weg. Präventivmaßnahmen sind wichtig. Vergessen wird bei allen Diskussionen über Kohlendioxidausstoß und Erderwärmung, dass unsere Ressourcen endlich sind und ein sparsamer Umgang schon deswegen notwendig ist. Der Krieg um Wasser, Öl und Landwirtschaftsflächen hat bereits begonnen. Leider ist das Ende der Ressourcen generationenweit entfernt, und so weit denken die meisten Menschen nicht, ja, soweit denken nicht einmal Eltern, die alles dafür tun, damit es ihre Kinder einmal besser haben. Wirklich alles?
Fazit:
Ich habe den Bogen jetzt weit gespannt - von der Parteienlandschaft über den rechten Flügel bis zu den brennenden Themen, bei denen sich die Große Koalition seit dem Reaktorunfall schwarzblau gegenseitig in den Stillstand treibt. Der Mangel einer echten, linken Alternative bzw. einem starken linken Bündnis, das nicht daran interessiert, bloß Bashing der Rechten zu betreiben (wie im Fußballstadion die Schmähgesänge der gegnerischen Mannschaft), sondern tatsächlich Finger in die Wunden der Gegenwart zu legen und mit rationalen Argumenten nach Lösungen sucht, wiegt schwer - jedenfalls aus der Sicht eines Deutschen.
SPÖ 26,9
ÖVP 24,0
FPÖ 20,6
Grüne 12,3
Frank 5,7
NEOS 4,9
Quo vadis?
Rotschwarz oder schwarzblaustronach - darauf läuft es hinaus. Und wenn die Roten in die Koalitionsverhandlungen mit schwarz gehen, hat schwarz wieder einmal die besseren Karten, könnten sie doch im Falle eines Scheiterns ihrer Forderungen/Ansprüche mit schwarzblaustronach drohen. Beide Varianten sind irgendwie... arg.
Leseempfehlungen:
Weil das nun doch sehr lang geworden ist, hier noch ein paar (kürzere) Blogaufarbeitungen (Auswahl):