Ein Jahr später statte ich Innsbruck wieder einen Besuch ab. Mit dem Railjet in 4 Std. 10 min mit nur wenigen Zwischenhalten. Die Fahrt ist ganz nach meinem Geschmack, sogleich erhasche ich im Bordrestaurant einen freien Platz, kann die Zeitung ungestört vor mir ausbreiten und frühstücken. Die Mitarbeiter vom Restaurant haben eine anstrengende Schicht vor sich. Der Railjet besteht aus zwei Zügen, wovon letzterer bis Zürich weiterfährt. Mit an Bord ein Leiharbeiter, der seinen ersten Tag an Bord hat und sichtlich überfordert ist, und sich später auch mehrmals bei den anderen, wesentlich routinierteren und sichtbar eingespielten Mitarbeitern entschuldigt. Kurz vor Innsbruck steigt ein weiterer Mitarbeiter zu, der den Leiharbeiter erstmals einschult, nach knapp vier Stunden, und ihm seine Unbeholfenheit nimmt. Jedenfalls schmeißen die beiden Mitarbeiter, darunter eine Frau, die alles im Griff zu haben scheint, alleine das Restaurant inklusiver Bewirtung der ersten Klasse. Da das Personal fehlt, um den Trolley zu bedienen, kommen immer mehr Fahrgäste ins Restaurant, es bilden sich immer wieder Schlangen und die Mitarbeiter kommen kaum dazu, Bestellungen im Bistro aufzunehmen. Ich gebe später ein doppeltes Trinkgeld, weil sie trotz enormen Stress alle Bestellungen abarbeiteten und trotzdem nicht zu lange warten ließen.
Mittags in Innsbruck angekommen ein Stück alte Heimat neu kennenlernen. Das monströse neue Bürogebäude dort, wo vorher neben dem Hauptbahnhof die alte Poststelle war. Die Fahrradstreifen entlang der Museumstraße sind etwas breiter geworden, ebenso in der Innenstadt, und verlaufen jetzt teilweise auf dem Gehsteig, dessen Breite für die Fußgänger sich entsprechend halbiert hat. Aber Innsbruck ist eine Stadt mit vielen jungen Einwohnern, mit mehreren zehntausend Studenten, und Radfahrer gehören hier ins Stadtbild. Zumal die langen, kaum unterbrochenen Radwege jenseits des Innufers auch weitere Strecken ohne stop-and-go zurücklegen lassen. Inmitten der Faszination und Neugier, was sich alles verändert hat, mischt sich auch Erschrecken. Die Armut ist sichtbarer geworden. Es sind mehr Bettler geworden, und leider erkenne ich auch zwei, drei Obdachlose wieder, die ich bereits vor zehn Jahren in Innsbruck erstmals gesehen habe. Wer erst einmal tief in der Armut sitzt, steht nicht mehr so leicht auf. Vor allem sind es überwiegend ältere Menschen, teils behinderte Menschen.
In der Altstadt tummeln sich wie üblich an den Dezemberwochenenden Scharen von Italienern, busweise angekarrt über den Brenner fallen sie in die Stadt ein und besonders um das Goldene Dachl herum ist kein Durchkommen mehr. Ich weiß nicht, ob ich an so einem Massentourismus gefallen finden würde, wenn etwa hunderte, tausende Deutsche sich alle auf einem kleinen italienischen Weihnachtsmarkt gegenseitig auf die Füße steigen. Mir sind die Massen jedenfalls zu viel, ich drücke mich schnell an den vielen Ständen vorbei, eher ziellos und rastlos, und bleibe ich doch einmal stehen, rempelt mich bald der nächste Tourist an. Interessanter ist da schon das Verhalten der vielen mitgeführten Hunde, ob groß oder klein, die sich von den zahlreichen Tauben zu kindischem Verhalten animieren lassen. Erstmals beobachte ich tatsächlich die Ähnlichkeit im Verhalten zwischen Kleinkindern und Hunden, die jede Taube aus der Nähe sofort verscheuchen wollen. Ein kleiner Hund bellt ganz besonders oft und grell, lenkt die ganze Aufmerksamkeit auf sich, vor allem von mir. Aber auch andere Hunde machen immer wieder einen Schritt auf die Tauben zu, ebenso wie die kleinen Kinder, besonders kleine Buben.
Lautstärke ist ein Thema, spätestens im Hotel, wo mein Hotelzimmer leider zur Straße hinauszeigt, nicht wie im Vorjahr in den Innenhof. Ein schwerer Fehler, denn der Verkehr ebbt auch bis Mitternacht kaum ab, eher wird aus dem gleichmäßigen Verkehrsstrom ein unregelmäßigeres Auf und Ab des Gasgebens kurz vor der Kreuzung und plötzlichen Abbremsmanövern. Selten, aber oft genug rauscht eine Motorsäge, äh ein Mofa vorbei ( Mofa = Motorsäge fahrend). Auch im Frühstücksraum setzt sich die Lautstärke fort, was ein italienisches Kleinkind mühelos schafft, indem es - mangelns motorisch ausgereifter Fertigkeiten - den Kreisel nicht dreht, sondern monoton auf den Tisch schlägt und gelegentlich dazu schreit. Gleichzeitig düdelt laut drittklassige
Volkstümelnde Musik aus dem Radio und vor mir liegt eine Kronenzeitung. Ich widerstehe dem Fluchtinstinkt und vergebe innerlich dem Kind, das nichts dafür kann, dass es in diesem Alter besonders gerne Krach macht. Jugendliche und Erwachsene machen zu Silvester noch viel mehr Krach.
Ich überwinde meinen Schweinehund und gehe entlang des Innufers bis zum Weiherburgsteg, und dann hinauf über den Alpenzoo zur Hungerburg. Unterwegs begegnen mir nur wenige Spaziergänge, ein paar Jogger, die sich von ein paar Regentropfen und der nebeligen Kälte nicht abhalten lassen. Ab der Hungerburg wird es ruhiger, ich tauche ein in den Nebel und freue mich, dass ich weitgehend alleine bin. Auf der Arzler Alm herrscht zeitweise dichter Nebel, die Hütte ist geschlossen. Zwei Einheimische, die von der Rumer Alm kommen, mit Kleinkind auf dem Rücken: "Ma, jetz freu i mi auf a Suppele!" und sind sichtlich enttäuscht, dass geschlossen ist. Sie steigen eilig Richtung Hungerburg ab. Ich steige noch am Forstweg, um diese Jahreszeit normalerweise schon präparierte Skipiste, weiter Richtung Höttinger Alm auf, aber der Nebel wird kälter, erste Flocken fallen und der Wind wird ebenso kälter. Mich friert es ein wenig, nachdem ich mich beim Aufstieg zu Tode schwitzte. Auch ich kehre bald wieder um, und dennoch ist mir der Nebel vertraut nach diesem verregneten Sommer. Ich habe die Angst und Unruhe verloren, die ich in früheren Jahren immer empfand, wenn ich alleine durch den Wald ging. Einer der Gründe, weshalb ich zur Studienzeit alleine kaum gewandert bin - ich fürchtete mich vor freilaufenden Hunden und erschrak jedes Mal, wenn es im Wald knackte. Nicht nur ist diese Angst nahezu verschwunden, sondern jetzt genieße ich das Alleinsein und selbst dichter Nebel zermürbt mich nicht mehr. Die Nebelstimmung hat ihren eigenen Reiz, dafür weiß man sonnige Wanderungen dann umso mehr zu schätzen.
Die Lautstärke im Kaffeehaus weicht dafür nach und nach einem nicht allzu störendem Hintergrundrauschen. Mit Musik wäre es für mich unerträglich, zu viele Reize, aber ohne Hintergrundmusik bleibt der Lärmpegel recht konstant, nur zwischendurch unterbrochen, wenn Telefone klingeln oder ein Ehepaar unbedingt im Kaffeehaus auf dem Handy ein Video schauen muss, mit aufgedrehtem Ton. Auf der Rückfahrt ein ähnliches Problem. Im Bordrestaurant ist leider schon belegt, ich muss in den Großraumwagen ausweichen. Reges treiben auf dem Gang. Schnarchende Fahrgäste vor und hinter mir, ständig quetschen sich Menschen vorbei, ein Handy klingelt, laute Gespräche. Immer Unruhe. Ich weiß, warum ich Großraumwagen meide.Zurück in Wien regnet es immer noch. Das endlose Grau hat sich fortgesetzt, während ich in Innsbruck wenigstens für vier Stunden vom Sonnenschein naschen durfte.
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Stadtteil Mariahilf und Nordkette, mit auflösendem Hochnebel |
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22° Haloring mit Nebensonne, Oberer Berührungsbogen, Parrybogen |
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Hier sieht man zudem den 46° Ring |
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auch die rechte Nebensonne ist stark ausgeprägt. |
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Wetterstatistik Innsbruck |
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An einem sechsten Dezember |
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Alienwurzeln |
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Alte (1906-2005) und neue (seit 2006) Trasse der Hungerburgbahn |
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Nebel beim Aufstieg zur Arzler Alm |
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Aussicht von der Arzler Alm |
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Kunstwerke am Wegesrand |
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Bei freundlicherem Licht |
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Immer noch an einem sechsten Dezember |
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Der Taubenvergrämer |
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Brauntöne |