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Smartphone: Pro und Contra - eine Ausschweifung

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"Man kann nur etwas glaubhaft kritisieren, wenn man sich darüber vorher ausreichend informiert hat."

Dieser Ausspruch ist für so viele Themen zutreffend, dass man ihn für eine 0815-Weisheit halten könnte. Tatsächlich aber wird er im Zeitalter des Internets immer bedeutsamer, da mit jeder Mitteilung im Internet Öffentlichkeit erreicht und manipuliert wird. Nicht nur von Personen des öffentlichen Lebens, sondern eben von jedem mit Internetzugang.

Ich selbst besitze mittlerweile das fünfte Handy in zehn Jahren - das erste Handy war ein Siemens C55, das ich nur wegen dem schwachen Akku vorzeitig abgegeben habe. Nach dem Outdoorhandy von Samsung mit immer schlechter werdender Sprachqualität, aber zusätzlichen praktischen Features wie Taschenlampe, Schrittzähler und Kompass bin ich inzwischen beim Klapphandy von Samsung angelangt, das abgesehen von SMS und Telefonieren nicht viel mehr kann als platzsparend zu sein.

Ich spreche a priori lieber von Funktionen als von Vor- und Nachteilen. Nicht alles, was jemand als Vorteil empfindet, ist für alle ein Vorteil. Auch, wenn ich kein Smartphone verwende, kenne ich doch durch den Bekanntenkreis (bzw. den Rest der Welt) seine Funktionen. Um es mit von Worten zu Marx zu beschreiben:
"Das Sein bestimmt das Bewusstsein."
Es kommt stark auf die berufliche Nutzung und die umsetzbare Trennung zwischen Beruf und Freizeit an. Journalisten sind auf ständige Informationen aus dem Netz angewiesen, ebenso andere Berufszweige, die eine strikte Trennung in "vor und nach dem Feierabend ist Schluss" nicht mehr zulassen.

Auf der anderen Seite ist das 21. Jahrhundert durch Berufe geprägt, die mit Computerarbeit zu tun haben - und auch in der Freizeit ist die Computernutzung weit verbreitet. Als Teil dieser Computergeneration genieße ich die immer kürzer werdenden bildschirmlosen Phasen, wobei ich Zeitpunkt und Dauer noch selbst bestimmen kann, und mein prozessorschwaches Handy die ständige Präsenz im Netz nicht zulässt.

Dann gibt es noch eine dritte Gruppe, die von den Funktionen der Smartphones profitiert: Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Sei es das körperliche Handicap (Apps, die barrierefreie Toiletten, Gebäude oder Restaurants anzeigen) oder Soziophobien (Internetsuche und Apps, die Anrufe und Augenkontakt vermeiden). Diese Gruppe wird Smartphones überwiegend als Segen betrachten und die Vorteile loben. Hier spiele ich einmal den advocatus diaboli und werfe etwas Polemik in die Runde:
  • i) Tools, die barrierefreie Gebäude zeigen, bauen keine Barrieren ab. 
  • ii) Tools, die soziale Kontakte umgehen, um etwas zu erhalten, verstärken das Vermeidungsverhalten und damit die Soziophobie.
Smartphones (und Internet im weiteren Sinne) sind kein Ersatz für Barrierefreiheit und soziale Phobien, sondern bieten lediglich eine Hilfestellung. An der Grundproblematik ändern sie nichts, diese zu bekämpfen muss das vorrangige Ziel der Betroffenen sein.

Wir leben in einem - sehr kurzsichtig denkenden - Zeitalter, das sich über seine Zukunft wenig Gedanken macht. Fällt das Internet für längere Zeit aus, etwa durch einen Blackout oder eine Naturkatastrophe, dann existieren die Barrieren noch immer, aber kein Weg mehr, sie zu umschiffen (statt sie abzuschaffen). Für ein digitales Archiv von Büchern hätte das sogar zur Folge, dass das gesammelte Wissen der Menschheit temporär oder gar für immer vernichtet wäre. Dieser - zugegeben - philosophische Ansatz ist nicht als Verteufelung der digitalen Welt gedacht, sondern mahnt dazu, im Hinterkopf zu behalten, was passiert, wenn die digitale Welt einmal offline geht.


"Vermeidungsverhalten lässt sich vermeiden, indem man Möglichkeiten, Vermeidungsverhalten zu trainieren, vermeidet."

Für mich selbst bedeutet der Verzicht auf digitale Funktionen kein Verzicht auf Lebensqualität, sondern soziale Fähigkeiten in der Offline-Welt zu trainieren: Viele Apps zielen darauf ab, nicht mehr fragen zu müssen, sondern mit drei, vier Klicks das zu erhalten, was man bekommen möchte, sei es der Weg zum Hotel, das nächstgelegene Café für Nichtraucher oder die Bestimmung der umliegenden Gipfel auf einem Berg. Statt Mitmenschen oder Fremde zu fragen, erledigen das die Apps für einen - ein Verlust an sozialen Kontakten, vor allem aber - und das wird an der Funktionalität meist positiv hervorgehoben - Zeitersparnis.

Wir haben doch keine Zeit mehr, um etwas dem Zufall zu überlassen, ob die Straßenbahn pünktlich oder das Restaurant seine vier Sterne wert ist. In einem Zeitalter, in dem die Zeit für die Produktion schneller altert als produziert werden kann, ist die Zeitersparnis das nonplusultra für die Wirtschaft. Freizeit wird rationalisiert und die Produktivität durch Energy drinks selbst dann am Leben gehalten, wenn der Arbeiter nach Erholung dürstet.

Zurück zu den Smartphones - niemand zwingt mich dazu, dauerhaft im Netz zu sein, wenn ich eines besitze. Allerdings ist die Gefahr des Kontrollverlusts groß: Wozu möchte man ein Smartphone, wenn nicht die Funktionen zu nutzen, die es bietet - von Facebook, Twitter über Google, E-Mails checken, Nachrichten lesen bis hin zu den zahlreichen Applikationen? Die Gefahr des Abrutschens in die digitale Welt ist groß, und Menschen, die aufsmartphonestarrend gegen Laternenmasten oder Straßenbahnen laufen, geben über diese Problematik ein beredtes Zeugnis ab. Ebenso, sich lieber mit dem Smartphone zu unterhalten als mit dem Freund im Kaffeehaus.

Wenn ihr ehrlich zu Euch seid, werdet ihr den Suchtfaktor eines Mediums nicht bestreiten, angefangen von der Playstation und Gameboy bis hin zu Computerspielen und Rollenspiele im Internet, von Facebook und Twitter hin zu Smartphones. Wer noch in der Lage ist, den Hang zum Suchtcharakter anzuerkennen, wird alle Hebel in Bewegung setzen, sich dem Suchtmedium nicht auszusetzen. Deswegen verteufelt nicht die Menschen, die immer noch kein Smartphone haben - neben altmodischer Gründe kann auch ein lapidares Schutzbedürfnis dahinterstecken.

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