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Channel: Wiener Alltagsbeobachtungen
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Warum ich gerne wählen möchte

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Im Hinblick auf diesen Artikel zu den Festgefahrenen Positionen beim Ausländerwahlrecht fällt mir ein: Ja ich möchte als Ausländer das Recht besitzen, hier zu wählen, unabhängig davon, ob ich aus einem EU-Land komme oder nicht. Denn ist das Leben eines Afrikaners, der seit zehn Jahren hier ist, weniger Wert als meines eines EU-Bürgers?

Ich lebe, wohne, studiere und arbeite seit mittlerweile 8 Jahren und 4 Monaten in Österreich, davon sechs Jahre in Innsbruck. Dank intensivem Interesse an der Politik begann ich schon früh nach meiner Ankunft in Österreich damit, die Tageszeitungen zu lesen, abwechselnd DerStandard und DiePresse, daneben die kostenlosen Bezirksblätter, no na net kam erst in Wien der Falter hinzu. Über die politische Entwicklung im Land informierte ich mich darüber hinaus via Fernsehen (Wahlkampf 2008), über Radio (Ö1) und eher angewidert durch die zahllosen Wahlplakate in der Tiroler Landschaft, bei denen die FPÖ mit "Daham statt Islam" und das BZÖ mit "Österreich den Österreichern" stilistisch stark vereinfachte rechtspopulistische Parolen anpinselten, die in Deutschland klar unter Rechtsextremismus gelaufen wären, und entsprechend einen #Aufschrei quer durch die Parteien hervorgerufen hätte. In Österreich ticken die Uhren anders, da juckt das zu wenige, weshalb Martin Graf auch immer noch Dritter Nationalratspräsident ist.

Wie dem auch sei, ich war immer sehr verwurzelt in dem Ort, an dem ich mich gerade befand. Ich schrieb in Innsbruck Lokalpolitiker wegen der Fahrradinfrastruktur an (und bin nicht müde, es auch in Wien weiterhin zu tun), wandte mich an die Wissenschaftsminister wegen den Diplomfristen und Studiengebühren und ärgerte mich noch wochenlang, als ich nach Wien übersiedelte, sich die Anmeldung hinauszog (da mein Vermieter noch sagte, dass das sowieso keine Eile hätte - die typische Wiener Behäbigkeit), und dann genau einen Tag zu spät war, nämlich nach dem Stichtag für die Kommunalratswahl in Wien (die deutsche Pünktlichkeit hätte mir besser getan). Dort hätte ich immerhin auf Bezirksebene wählen können und etwas gegen die FPÖ-Flut tun.

Nun lebe, wohne und arbeite ich immer noch in Wien, und verfolge mit ungutem Gefühl den sich abzeichnenden Wahlkampf für die nächste Bürgermeisterwahl, bei der den Angreifern der heiligen Kuh, ergo Grüne, wieder ein Stimmenverlust droht. Kein einwandfreies Bild haben sie abgegeben, trotz Senkung der Jahreskartenpreise, denn die Parkpickerl (heilige Kuh) und Parkschein-Verteuerung (heilige Kuh) liegen vielen Pendlern schwer im Magen, die Volksbefragung war fürn Hugo und die Mariahilfer Straße wird nun doch keine reine Fußgängerzone (heilige Kuh). Jedenfalls fürchte ich ein Erstarken der Rechtspopulisten, die zudem für radlerfeindliche Stimmung sorgen. Ich möchte also nicht nur auf Bezirksebene wählen dürfen, sondern auch auf kommunaler Ebene, ich würde gerne teilhaben an der Demokratie, die hier angeblich herrscht - immerhin zahle ich hier Steuern und Abgaben, was sind meine Rechte dafür?

Ein politisch interessierter Ausländer macht kein unwissenderes Kreuz als ein Inländer, der Populisten auf den Leim geht. Überhaupt ist gerade in Österreich, gerade in Wien, die Unterscheidung zwischen In- und Ausländer ziemlich deppert. Wien war schon immer eine multikulturelle Stadt, die durch den Zuzug von "Ausländern" an Attraktivität gewonnen hat. Wien hat so gesehen eine Sonderstellung - nur spürt man nichts davon. Im Gegenteil - solange Österreicher fürs Schubsen einer Afrikanerin auf die U-Bahn mit Bewährungsstrafe (in Österreich: "bedingte" Haftstrafe) davon kommen, hat man eher den Eindruck, dass man nicht nur bei der Justiz eher 'zweiter Klasse' behandelt wird. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Asylbewerber hier arbeiten dürfen sollten.

Das Wahlrecht an den Verlust der Staatsbürgerschaft zu knüpfen ist vielen Möchtegernwählern zu riskant, zumal die bürokratischen Hürden nicht gerade wenig sind. Viel Aufwand dafür, um wählen zu dürfen. Dabei sollte man es doch den Menschen erleichtern, wählen zu können, und sich für die Umgebung einzusetzen, in der sie leben. Das fördert auch die Integration und die Identifikation mit der neuen Heimat.

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