Ein damaliges Wien, wie es
keine Liebe auf dem ersten Blick war.
Ein heutiges Wien, das eben anders ist.
Das erste Mal besuchte ich Wien im Sommer 2004. Ich erinnere mich nur wenig an die Stadt selbst, sie erschien mir kalt und grau, mit viel Beton und das U-Bahn fahren hasste ich damals schon. An den Weg zur Donauinsel erinnere ich mich dunkel, entlang verrostetem Stahl einer Eisenbahnbrücke. Beängstigend wirkte das auf mich. Niemals wäre ich damals auf die Idee gekommen, dass es mich sechs Jahre später hierher verschlagen würde.
In den folgenden Jahren kam ich wieder für drei bis vier Tage, lernte Kahlen- und Leopoldsberg bei dichtem Nebel und Schneedecke kennen, war im Prater und besuchte dann im Sommer 2008 schließlich Schönbrunn, den Zoo, die Donauinsel, Leopoldsberg und die Jubiläumswerte.
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Wien von der Jubiläumswarte (449m, Ottakring) gesehen, Juli 2008 |
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Wien vom Kahlenberg gesehen, Juli 2008 |
Am Eindruck hatte sich zunächst wenig geändert. Als Wahl-Innsbrucker vermisste ich in Wien jegliche Orientierungspunkte. Eine große Stadt und, wie mein Studienkollege und ich bald feststellten, große Frauen. Im Gegensatz zu Innsbruck hatten die Frauen hier ziemlich lange Beine, manchmal regelrechte Riesen, die uns zu überragen schienen, oder es sogar taten. Osteuropa war nah.
Wien lernt man durch ausgewählte Besichtigungen nicht kennen. Wien findet abseits der Touristenattraktionen statt. Deswegen wusste ich damals sehr wenig über Wien, außer hier nicht bleiben zu wollen, in der Freude, nach drei Tagen wieder nach Innsbruck zurückkehren zu dürfen.
Im Februar 2010 stapfte ich eiligen Schrittes die Dresdner Straße entlang, zu einem Bewerbungsgespräch. Der ÖBB-Zug hatte Verspätung, das Polster von anderthalb Stunden war auf zehn Minuten zusammengeschmolzen. Und Wien lag unter kaltem, dichtem, nässendem Hochnebel.
Als ich mich dann innerlich für Wien entschieden hatte, musste ich innerhalb kurzer Zeit alle Vorbehalte ablegen. Das geschieht am effektivsten, in dem man alles Negative ausblendet und sich die neue Heimat wortwörtlich schönredet.
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An der Grenze Favoriten - Simmering |
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Als Neo-Favoritner wusste ich um die Angstgeschichten, die sich um den zehnten Bezirk drehten, um Kriminalität, hoher Ausländeranteil und dichte Verbauung. Deswegen beschloss ich zuerst den Bezirk zu erkunden, bewanderte den Laaerberg, fuhr mit dem Rad nach Ober- und Unterlaa, streunte durch die Felder, und sah die Schönheiten am Stadtrand, die sonst keiner kannte, wie den Kurpark Oberlaa. Nicht alle Wiener wissen, dass sich am Laaerberg mit dem Böhmischen Prater ein kleiner Vergnügungspark befindet.
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Das Bahnorama über den zehnten Hieb |
Von oben betrachtet zeigt der zehnte Bezirk aber auch die Schattenseiten: Viel Beton, viele unsansierte Gebäude aus der Gründerzeit, an jeder Ecke abbröckelnder Putz und Mauerwerk, früher bewohnt von den "Ziegelbehm", heute von den Türken. Ein klassischer Arbeiterbezirk, bis auf Prater, Laaer und Wienerberg allerdings weitgehend ohne nennenswerte Parkanlagen, und jene eben nur am Stadtrand. Favoriten ist keine grüne Lunge für viele Bewohner, und als Radfahrer kämpfte ich ständig mit einem erhöhtem Adrenalinspiegel wegen der allgemeinen Rücksichtslosigkeit vieler Verkehrsteilnehmer, egal ob Fußgänger, Gassigeher oder Autofahrer.
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Fußgängerzone Favoriten |
Ich bin kein Stadtmensch, der mit und in der Stadt aufgewachsen ist. Die Fußgängerzone in der Favoritener Straße ist eine der wenigen autofreien Einkaufsstraßen in Wien - etwas, das ich aus deutschen Städten vermisse. Sie pulsiert dank der Migranten und hat gewiss ihren Charme. Nur ist es nicht meiner, mit Ramsch und Kitsch, besonders zur Weihnachtszeit. Mir fehlt die Kultur, die kulturelle Wertschätzung im zehnten Bezirk. Der Monte Laa als Wohngebiet sticht da noch positiv hervor, dort wird etwas getan, dank des eifrigen Obmanns des gleichnamigen Vereins. Aber die mangelnde Infrastruktur und die schlechte Verkehrsanbindung machen den Ort zu einer Insel am Stadtrand, nichts für jemand, der Wien wirklich kennenlernen, der Wien einatmen will.
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"Wiener Blick" vom Lainzer Tiergarten |
Wien war am Anfang erschreckend groß, undurchschaubar und unverständlich. Naiv, wie ich war, ging ich von arbeitnehmerfreundlicheren Ladenöffnungszeiten in der Millionenstadt - gegenüber Innsbruck - aus, fand zum Teil aber noch schlimmere vor. So öffnete der SPAR am Monte Laa endlich 15 min früher, schloss aber auch 15 min früher, und meist sogar ertönte 10 min vor Ladenschluss der "Kassaschluss" über den Lautsprecher.
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Vom Kahlenberg nach Transdanubien |
Bald genoss ich aber auch die einzigartigen Vorzüge, in den Wienerwald zu fahren, und in der Stadt auf die Stadt herabzuschauen, sich am dörflichen Stadtrand befreit vorzukommen, nicht mehr eingeengt, fern ab vom Stress, vom Lärm, von den Abgasen und Industriegerüchen.
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In der Oberen Lobau |
Erst Recht die Lobau am südöstlichsten Ende Wiens, mit ihren vielen Tierarten, den Sumpfschildkröten und Schlangen, immer noch zu Wien gehörend.
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Sense of Belonging |
Gegensätze tun sich auch innerhalb Wiens auf, innerhalb jeden Bezirks, jeden Grätzels. Fußgängerunterführungen existieren - angeblich aus Sicherheitsgründen nicht - dafür stehen sich Fußgänger und Radfahrer an zahllosen Ampeln die Füße tot. Die Stadt ist totgeregelt durch den implodierenden Verkehr. Am Gürtel mag niemand wohnen, laut und dreckig ist es da. Selbst in der Innenstadt gibt es nur wenige, echte Fußgängerzonen, und selbst Im Graben oder am Michaelerplatz drängeln sich Taxifahrer teils recht ungehobelt über die wenigen Durchzugsstraßen.Verkehr rollt auch durchs Burgtor, überall wird der Fußgänger, der Tourist, verbannt bis zur Unkenntlichkeit. Selbst die Bim störte, und wurde streckenweise unter die Erde gelegt (Linie 1,6 und 18).
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Satire |
Das ist nicht die Lebensqualität, die so oft kolportiert wird. Im Gegenteil, der Autoverkehr ermüdet, und genauso ermüdet, wie viel Erfolg die
Fanatischen
Parkplatz
Öden mit ihrer provokanten Politik hat, sodass sich selbst schon
Kommentatoren in der PRESSE sich deren Jargons bedienen.
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Unwetter über dem Süden Wiens, im Vordergrund die Flaktürme |
Wien hadert mit seiner Vergangenheit, erkennbar an den wenigen, steinernen, monumentalen Relikten, als die Welt noch in Ordnung war, als nicht über Umbenennungen
angesehener Bürgermeister diskutiert werden musste.
So bleibt als Neo-Ottakringer die Chance, die Stadt das zweite Mal kennenzulernen, den Charme der Stadt, deren Ruf ich von den 3000ern Tirols folgte, über die Kulturexplosion ich mich so freute, und dann aufgrund der Entfernung zu den angesagten Treffpunkten nur ansatzweise teilhaben konnte.
Zum Abschluss noch einige Eindrücke aus Wien, von dem reine Stadtmenschen behaupten, es sei kein Ort für Wanderer (erst kürzlich auf yelp.at von einer zugereisten Bosnierin gelesen - ob sie weiß, dass der Alpenverein in Wien mehr Mitglieder hat als in Tirol?).
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Wienerwald und Alpen von der Jubiläumswarte |
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Cobenzl und DC Tower 1 vom Hermannskogel |
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Jubiläumswarte |
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Weingärten in Döbling und Skyline |
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Vogelperspektive (von Süden) |