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Was spricht gegen ein absolutes Rauchverbot?

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Eine auflagenstarke Gratis-Zeitung in Österreich kolportiert die Meldung, dass sich SPÖ und ÖVP auf ein absolutes Rauchverbot in Gaststätten geeinigt haben sollen. Als Entschädigung für Wirte, die bereits Umbaumaßnahmen für getrennte Raucher- und Nichtraucherbereiche getroffen haben, soll es Steuervergünstigungen geben. Tatsächlich laufen die Verhandlungen noch und die Gratis-Zeitung verfügt entweder über Insiderkontakte oder es handelt sich (wieder einmal) um eine verfrühte Falschmeldung.

In Polen, Italien, Irland und Deutschland existiert das strikte Rauchverbot schon länger. In Deutschland gibt es unterschiedliche Erfahrungen. Die befürchteten Umsatzeinbußen werden  in Bayern inzwischen durch steigende Umsätze kompensiert, im übrigen Deutschland dagegen kurz nach der Einführung 2007 eingetreten.

Rauchen zählt ebenso wie Autofahren und Alkoholkonsum zu gesellschaftlich akzeptiertem Verhalten. Jahrzehntelang war es Teil der Lebenskultur zu rauchen, am Arbeitsplatz, in den Zügen, in Gaststätten und erst recht in zahlreichen Hollywoodproduktionen (Beispiel: Independence Day). Nichtraucher hatten sich zu fügen, den Qualm zu ertragen. Umgekehrte Rücksichtnahme ist eher die Ausnahme. Bis vor ein paar Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Nichtraucher zu fragen, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er raucht.

Wortwahl entscheidend

Das Grundübel ist - wie so oft - die Wortwahl in der aufgeheizten Debatte: Rauchverbote dienen in erster Linie dem Schutz der Nichtraucher, also warum nicht als Nichtraucherschutz benennen?
Verbote und Pflichten - wo immer ausgesprochen, rufen naturgemäß Rebellion hervor. Genauso gibt es gesetzliche Bestimmungen über die Lautstärke in der Disco oder auf Konzerten, da ab einer gewissen Lautstärke Hörschäden auftreten können. Einem kleinen Teil der Bevölkerung scheint zu laute Musik nichts auszumachen, gehörlose Menschen freuen sich sogar darüber (frei nach Herbert Grönemeyer - Musik ist nur gut, wenn sie laut ist), aber für die Mehrheit und ihre empfindliche Ohren ist zu laute Musik eben schädlich. Wie schädlich, erfahrt man leider oft erst, wenn sich bereits ein irreparabler Gehörschaden entwickelt hat. So ist es beim (Passiv-) Rauchen auch. Ebenso sind besonders Menschen mit Atemerkrankungen gefährdet, sei es durch Asthma, Heuschnupfen, Mukoviscidose oder herz- und lungenkranke Menschen.

Was ist normal?

Eigentlich ist der Begriff Nichtraucher ein Kunstwort, denn auf andere Süchte übertragen müsste man auch von Nichtalkoholikern, Nichtheroinabhängigen und Nichteinkaufssüchtigen sprechen. Wenn wir aber eine Sucht als eine psychische Störung betrachten, die nicht einem psychisch gesunden Zustand entspricht, sind es nicht die Nichtraucher, die ein Problem mit dem Rauch haben, sondern die Raucher, die nicht auf das Rauchen verzichten können. Von den gesundheitlichen Auswirkungen mag ich hier gar nicht sprechen. Gerne werden als Argument jene angeführt, die trotz jahrzehntelangem Rauchen 100 Jahre alt geworden sind, sich kerngesund fühlen. Oder im Umkehrschluss Lungenkrebspatienten, die nie geraucht haben (möglicherweise aber passiv geraucht haben?). Dann wird die Feinstaubbelastung in den Städten als größeres Problem genannt, obwohl die Feinstaubbelastung sich in der freien Natur gut verteilen kann - auch abhängig von der Wetterlage, während die Lüftung in Raucherlokalen oft schlecht ist oder nur möglich ist, wenn man die Türen und Fenster aufreißt, was im Winter schon mal zum Frösteln veranlässt.

Durch Interaktion entsteht Verantwortung

Das Zauberwort ist Risikominimierung. Das Leben besteht aus Risiko, das ist zweifellos richtig, und ob sich jemand seine eigene Gesundheit durch Fast food, Rauchen, Saufen oder Süßigkeiten zerstört, ist Privatsache. Sich selbst lebensverlängernd zu ernähren und zu verhalten ist Sache des mündigen Bürgers, hier braucht keine Verbote und Bevormundungen, auch keinen "Veggie Day", wie ihn die Grünen unlängst im deutschen Wahlkampf vorschlugen.

Der Bürger ist allerdings Teil einer Gesellschaft - und sobald es zu Interaktionen kommt, hat der Staat die Aufgabe, die Rechte eines jeden Einzelnen zu schützen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist als Grund- und Menschenrecht in unserer Verfassung verankert. Raucher, die in Interaktion mit der Bevölkerung treten, schaden nicht nur sich, sondern auch ihrer Umwelt. Dafür existiert der Nichtraucherschutz. Was der Raucher in seinem Wohnzimmer, auf dem Spaziergang, im Auto oder sonstwo tut, ist seine Privatsache.

Der Besuch des Lokals wird nicht verboten

Es handelt sich um Verbote des Rauchens (Vorgang), nicht der Raucher (Personen). Raucher können weiterhin die Lokale besuchen, nur dürfen sie eben dort nicht rauchen. Nichtraucher belästigen Raucher nicht mit Frischluft, sondern die Raucher die Nichtraucher durch den Qualm. Freiwillige Rücksichtnahme funktioniert ebenso wenig wie die Rettungsgasse oder freiwilliges Anschnallen im Straßenverkehr.

In meinem Bekanntenkreis kenne ich ad hoc viele Nichtraucher, die gerne und häufiger Lokale besuchen würden, wenn sie danach nicht immer den Rauch aus der Kleidung waschen müssten, über Kopfweh, tränende Augen und Halsschmerzen klagen würden, das Essen nicht nach Rauch schmecken würde. Oft übt man eben doch Nachsicht und Toleranz und erträgt den Rauch klaglos, aber der Spaß beim Lokalbesuch ist im Gegensatz zum Raucher reduziert und das Bedürfnis, sich regelmäßig dem Qualm auszusetzen, ebenfalls.

Was wird geschehen?
  • Durch das absolute Rauchverbot muss der Wirt mit Umsatzeinbußen rechnen, weil die Gäste wegbleiben
Anfangs ja, u.a. auch, weil die Raucher öfters vor das Lokal gehen und weniger konsumieren. Dafür kommen Gäste, die vorher wegen dem Umstand, dass es ein Raucherlokal war, nicht gekommen sind. Auch Gelegenheitsraucher verzichten eher auf den Glimmstengel und bleiben deswegen nicht fern. Und am Ende schaffen es vielleicht auch die Kettenraucher, zumindest für die Dauer des Lokalbesuchs, auf die Tschick zu verzichten.

  • Durch das Rauchverbot kommt es zu Konflikten mit den Anrainern. 
Das spielt in einer Großstadt vielleicht weniger eine Rolle, da der Individualverkehr ohnehin die größte Lärmquelle (in der Nacht) darstellt, an Land wird das Rauchverbot womöglich nicht so streng kontrolliert. Da ist auch ein wenig Rücksichtnahme gefragt, sich nicht laut brüllend vor dem Lokal zu unterhalten - egal ob Raucher oder Nichtraucher.
  • Die Nichtraucher sind schuld, dass die Lokale Umsatzeinbußen haben.

Der Nichtraucher geht eher häufiger hin und konsumiert womöglich auch länger, da auch nach drei Stunden keine wortwörtlich dicke Luft im Raum mehr herrscht.

Halbgarige Lösungen

In Wien ist alles anders, dazu zählen halbgarige Lösungen eines getrennten Raucher- und Nichtraucherbereichs, der teure Umbaumaßnahmen erfordert hat. Der Rückbau kommt dem Wirt teuer zu stehen, daher kann ich die Wut der Wirte absolut verstehen. Statt der schleichenden, aber kostenintensiven Einführung des Nichtraucherschutzes wäre die radikale Lösung aus baulicher Sicht günstiger gekommen. Das mit den ausbleibenden Gästen muss sich so oder so einpendeln.

Zu meiner Person: 

Ich bin starker Nichtraucher, habe aber zur Schulzeit auf Partys auch das ein oder andere Mal an der Tschick gezogen, allerdings nie auf Lunge. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens auf die Lebensqualität sah ich an Mitschülern, denen beim 1000 m-Lauf schon nach 300 m die Luft ausging, an rauchbedingten Erkrankungen im Bekanntenkreis, die sich beinahe tödlich auswirkten - und an Bekannten, die an Asthma leiden, und denen ein (Raucher-)Lokalbesuch verwehrt bleibt. Ich bezweifle, dass die Lärm- und Staubbelastung in den Städten gesundheitsfördernd ist, aber den Rauch direkt ins Gesicht geblasen zu bekommen ist eine vielfach höhere Konzentration als Autoabgase.

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