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Channel: Wiener Alltagsbeobachtungen
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Nicht #stolzdrauf

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Kann man auf ein Land stolz sein oder nur auf die Leistung einer Person oder eine Gruppe?

Bei den aufgeführten Punkten für Nationalstolz - ich könnte stolzdrauf sein, dass Conchita gewonnen hat, das hat aber mit Österreich wenig zu tun, v.a., nicht mit dem Österreich, das sich immer noch schwer damit tut, homosexuelle Paare mit heterosexuellen Paaren gleichzustellen. Ich könnte stolz darauf, dass die österr. Fußballmannschaft gewonnen hat, übrigens aus vielen Menschen bestehend, die entweder zugewandert sind oder in zweiter oder dritter Generation Wurzeln im Ausland haben. Obwohl Fußball, oder Sport generell, ein integratives Element ist, kommt es immer noch viel zu häufig zu rassistischen Ausschreitungen in Fußballstadien oder im Vorfeld von Spielen.

Egal ob Deutscher oder Österreicher, auf viele Dinge bin ich gar nicht stolz, und das betrifft besonders auf die Integration zu. Wenn ausgerechnet der ehemalige Integrationsbeauftragte und jetzige Außenminister Kurz Stolzbewusstsein jenen Menschen verordnen will, die durch das neue Staatsbürgerschaftsgesetz gehindert werden, die Identität der neuen Heimat anzunehmen, die sich nur als reiche Steuerzahler einkaufen können, dann ist das ein Treppenwitz, eine Art Schuldumkehr. Politiker, die offen rassistisch auftreten, treten nie zurück, schon gar nicht freiwillig, Mehrsprachigkeit wird unterdrückt, Türkisch als zweite Matursprache verhindert. Integration wird mit Assimilierung verwechselt. Eine Standardjournalistin sprach sich generell die Verwendung des Begriffs Integration aus, statt sollte man lieber von Inklusion sprechen. Wie soll diese gelingen, wenn man alleine in Wien 240 000 Zuwanderer nicht an den Landtagswahlen teilnehmen lässt, wenn diese ihre Lebensrealität nicht mitbestimmen dürfen?

Statt Gabalier hätte man die Flüchtlingshelferin Ute Bock nehmen können, eine engagierte Frau mit Vorbildfunktion, und Vorbilder sind in diesen Zeiten dünn gesäet. Gerade jetzt, wo mehr denn je Flüchtlinge eine sichere Heimat suchen, sei es aus der Ukraine, aus Syrien, durch IS oder aus Afrika. Es ist aktueller denn je, und gerade jetzt wäre es wichtig, an die Menschlichkeit zu appelieren, statt an Nationalstolz, der naturgemäß Fremde eher misstrauisch beäugt. Je mehr Menschen tatsächlich mit Flüchtlingen in Kontakt kommen, ihre Lebensgeschichte erfahren, desto weniger hat die vom Boulevard, und damit von der Regierung mitgetragende Propaganda gegen Flüchtlinge eine Chance, auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Leider ist die Signalwirkung nun eine gegenteilige, wenngleich die Kampagne den Vorteil hat, dass die zahlreich vorhandenen Problemstellungen aufgezeigt werden. Ja, auch ich habe mich an der Häme beteiligt, aber es haben sich auch zahlreiche Menschen zu Wort gemeldet, teils sarkastisch, teils zynisch, teils mit jeder Menge Wut im Bauch, um die Missstände hinzuweisen. Diese liegen nun auf dem Tisch und das ist gut so. Ein Anknüpfungspunkt, um der stolzdrauf-Kampagne Rechtfertigung zu verleihen, die Missstände anzupacken anstatt kleinzureden. Genau darauf zielt sie aber ab, ebensowie die gleichfalls misslungene Toleranz-Kampagne in Deutschland.

Politischer Stillstand: geschönte, aber dennoch steigende Arbeitslosigkeit, Niedriglohnland, streikende Gewerkschaften (Streikkultur, auf die man in Österreich nur neidisch sein kann), steigende Armut, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Kinderarmut, Rentnerarmut, Schwierigkeiten mit Parallelgesellschaften, aufgrund von Versäumnissen bei der Integration, steigender Bedarf an Psychotherapien, der nicht gedeckt werden kann, katastrophale Verhältnisse in der Pflege, steigende Lebenskosten, Strafzinsen auf Erspartes, etc. In Österreich kommt noch der Absturz in der Bildung hinzu, die nicht eingehaltenen Klimaziele, nicht eingehaltene UN-Konventionen zu Tabakkontrollen und Behindertenrechte. Die Liste ist endlos, und eine von oben verordnete Bewusstseinskampagne soll ablenken, dass nichts vorangeht. Die nächste WM ist 4 Jahre entfernt, in dieser Zeit könnte schließlich auffallen, dass nichts weitergeht. Also Brot und Spiele fürs Volk.

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