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Channel: Wiener Alltagsbeobachtungen
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Journalistische Verfehlungen

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Zwei Beispiele für journalistische Verfehlungen:

1. Der Artikel im Feuilleton der FAZ von Helene Hegemann:

Sie schreibt über "Hochstapler und Autisten" und beginnt mit "Nur ein neuer Autismus kann uns retten."

Der kritisierte Absatz

Der Zustand der Kommissarin

Bei dieser neuen, glorifizierten Form von Autismus handelt es sich nicht um unberechenbare Asperger-Kids, die schon im Vorschulalter masturbierend am Kronleuchter hängen. Es geht um zurückhaltende Außenseiter, die nicht lügen können und ihre Fähigkeiten wegen irgendeines irrationalen Pflichtbewusstseins in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Sie sind hochbegabt, sich selbst egal und deshalb unsere letzte Rettung.
Wie man auf diese Formulierung kommt, ist mir schleierhaft. Es gibt da auch nicht viel zu kommentieren. Sie ist diskriminierend und anmaßend, verletzend und peinlich. Viele Asperger-Kids werden wegen ihrer Andersartigkeit drangsaliert und gemobbt. Man schätzt, dass rund 70 % oder noch mehr der Asperger-Kids in der Schulzeit oder danach gemobbt werden. Was sie brauchen, ist Verständnis, die Beseitigung von Vorurteilen und der Respekt ihrer Stärken, auch ohne Inselbegabung. Was sie definitiv nicht brauchen, sind schiefe Metaphern, die sie zum Ziel von Spott ihrer Mitmenschen machen, nur weil den Journalisten keine besseren Formulierungen einfallen. Diese Vorgehensweise nennt man übrigens auch ableistisch (behindertenfeindlich), und gerade im deutschsprachigen Raum herrscht noch sehr viel Nachholbedarf was Respekt, Wertschätzung, Förderung und Inklusion von Menschen mit Behinderung, neurologisch verschiedener Wahrnehmung oder bloßer Andersartigkeit betrifft.

2. Kinderbegräbnis-Liveticker und trauernde Angehörige

Im Mai 2012 berichtete ein dem Fellnerismus angehöriges Nachrichtenblatt in einem Liveticker über ein Kinderbegräbnis und missachtete dadurch die Persönlichkeitsrechte der Familie und des toten Kindes (das Medienwatchblog Kobuk berichtete).

Heute zerschellt ein Airbus der Fluglinie GermanWings in den französischen Alpen mit 150 Menschen an Bord, die auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf waren. Die Journalisten machen sich sogleich allerlei Gedanken, u.a. wird berichtet ....

-dass die Aktien der Fluggesellschaft abstürzen (makabre Wortwahl)
-welche Nationalitäten wahrscheinlich unter den Opfern waren (ist die Identität denn nicht vorwiegend für Angehörige relevant?)
-indem trauernde Angehörige gefilmt werden.

Die Titelblätter der einschlägigen Boulevardzeitungen kann man sich leider schon bildhaft vorstellen, unverpixelte Aufnahmen trauernder Angehöriger gehören wohl dazu.

Und dass alles nur wegen der Quote. Null Informationsgehalt. Jegliche Kritik an diesem Verhalten wirkt sich höchstens temporär aus, denn es würde dem Geschaftsmodell der Boulevardzeitungen widersprechen. Quotenträchtige Stories egal um welchen Preis. Menschenwürde egal, sei es bei der Hetze gegen ganze Volksgruppen (die Griechen), gegen Notleidende (Obdachlose und Flüchtlinge), gegen die Religion (Muslime unter Generalverdacht), gegen Ausländer generell, und auch gegen Behinderte.

Einigen Journalisten scheint die Macht und Reichweite ihrer Texte und deren Intentionen nicht bewusst zu sein. Das ist bedauerlich bis empörend. Der Presserat als Kontrollinstrument funktioniert nur bedingt, wenn die größten Übeltäter dieses nicht anerkennen. In Österreich fehlt bisher ein kritisches Medienmagazin, wie es in Deutschland etwa ZAPP repräsentiert (und neuerdings Neo Magazin Royale). Aber auch Deutschland ist, wie man an  abstrusen Geldbeträgen sieht, die bei der DPA durchrutschen und unkontrolliert übernommen werden, vor kollektiver Griechenhetze nicht gefeit.

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