In der UniCut-Sendung vom 27. Juni auf OktoTV führte der Fernsehmoderator Fred Schreiber an, dass auch die Frage interessant sei, welches Empfinden Deutsche gegenüber ihrem Heimatland hegen, wenn sie bereits seit vielen Jahren in Österreich leben.
Seit 9 Jahren habe ich mein Heimatland verlassen und lebe seitdem ohne größere Unterbrechungen in Österreich. Die Frage ist eigentlich vielmehr, welche Anlässe zur Identifizierung mit dem Heimatland gegeben sind:
Die Sprache? Dialektfrei aufgewachsen habe ich höchstens einen leicht hessisch-fränkischen Einschlag und bin weit entfernt vom Hochdeutsch nördlich der Mainlinie, genauso weit entfernt aber auch vom bajuwarisch südlich des Weißwurstäquators. Nach vielen Jahren in Tirol und Studienkollegen aus allen Teilen Österreichs sind mir andere Dialekte sehr vertraut, ebenso andere Schreibweisen, Redewendungen und das umfangreiche Fluchvokabular. Vokabeln zählen seit jeher zu meinen Stärken, weshalb ich sprachliche Feinheiten und Doppeldeutigkeiten wie ein Schwamm aufsauge.
Das Essen? Ich vermisse scharfen Senf, gutes Schwarzbrot, das schimmelt, wenn es alt wird und nicht zum Betonklotz. Sonst bietet mir die österreichische Küche mehr als Bratwurst und Pommes an der Imbissbude, aber auch nicht weniger als lokale fränkische Küche.
Der Sport? In den vergangene Jahren war ich auch in österreichischen Stadien, nicht notwendigerweise mit deutscher Beteiligung. Ich kann die österreichischen Sportler anfeuern, ganz ohne verräterische Patriotismusgefühle. Die werden höchstens geschürt, wenn Österreicher aus Prinzip gegen deutsche Mannschaften sind. Dann solidarisiert man sich fast unfreiwillig.
Die Politik?Über die deutsche Politik erfahre ich mittlerweile vorwiegend aus der österreichischen Presse, warum sollte ich mich für mehr interessieren? Das ist das Paradoxe an der Situation: In Deutschland darf ich wählen und noch mitbestimmen, unter welcher Politik meine Familie zu leiden hat, während ich mich - ganz vorbildlich für einen Zuwanderer - intensiv mit österreichischer Politik auseinandersetze, deren Auswirkungen auf meinen Lebensmittelpunkt ich aber nicht beeinflussen kann.
Die Landschaft? Die bietet mir in Österreich Abwechslung, und zwar weit mehr als nur die Alpen, wenn ich an die Wachau, die Donauauen, den Rohrwald und den Neusiedler See denke - von den unmittelbar entfernten Heurigen im Wiener Westen ganz zu schweigen. Zudem schätze ich die Nähe zu den Nachbarländern, während in meiner Heimat Nachbarländer hunderte Kilometer entfernt liegen. Das prägt die Menschen und die Vorurteile, auch wenn ich nicht verstehe, warum so viele Österreicher so abschätzig über ihre ehemaligen Mitglieder der österreichischen Monarchie reden.
Die Behörden? Umständlichkeit ist eine Tugend in beiden Ländern. Als ich mich einen Tag zu spät in Wien anmeldete, verpasste ich das Recht in Wien wenigstens auf kommunaler Ebene mitwählen zu dürfen - soviel zur österreichischen Gemütlichkeit. So erniedrigend wie Hartz4 scheint die Mindestsicherung in Österreich nicht zu sein. Immerhin befinden sich viele Arbeitslosenzahlen in ständigen Schulungen.
Die Bahn? Auch, wenn es viele Österreicher nicht wahrhaben wollen: Die ÖBB ist deutlich leistbarer als die DB, da sie nach Kilometern und nicht nach Zeit abrechnet. Deshalb kosten Regional- und Fernzug gleich viel, zudem hat die ÖBB bei extremen Wetter in der Regel nicht so massive Probleme und ist daher zuverlässiger. Die On-Board-Preise sind ebenfalls normale Restaurantpreise, manchmal sogar darunter, während man bei der DB ausgeweidet wird wie ein Schaf.
Der Rassismus? Die Reaktion der Politiker auf Hungerstreiks von Flüchtlingen, egal ob in der Votiv-/Servitenkirche oder in München, ist selbstredend. Dass man damit aber auf Wählerstimmenfang gehen kann, bleibt den Österreichern vorbehalten. Alltagsrassismus ist hier viel sichtbarer und gesellschaftlich akzeptierter als in Deutschland, wo die political correctness das Pendel in die Gegenrichtung ausschlagen lässt. Voneinander lernen könnten beide.
Der Zwang einer Heimat. Heimat ist für mich der Ort, wo sich mein Lebensmittelpunkt befindet.Wien ist für mich daheim, wenn ich zuhause bin. Zuhause ist für mich daheim, wenn ich in Wien bin.
In Summe hege ich gespaltene Gefühle gegenüber dem Begriff Heimat: Ich möchte als Mensch wahrgenommen werden, nicht als Herkunft. Darum solidarisiere ich mit Migranten in Österreich, die durch ihre Aussprache, Aussehen und Herkunft schubladisiert und entrechtet werden - die vordergründig als Bedrohung, nicht als Bereicherung begriffen werden. Ist nur derjenige ein guter "Ausländer", der für die Staatsoper singt, der für den Breitensport antritt und Millionen verdient?
Viele von uns - unabhängig der Herkunft - tragen ihr Kreuz, wechselwirken mit den Mitmenschen, fügen Erfahrungsschätze hinzu. Kein Platz für primi inter pares, für Vorzeige-VIP-Zuwanderer, die ein falsches Anforderungsprofil für vorbildliche Zuwanderung abgeben. Wenn man sich das neue Staatsbürgerschaftsgesetz betrachtet, hat dieses Anforderungsprofil wohl Pate gestanden.
Seit 9 Jahren habe ich mein Heimatland verlassen und lebe seitdem ohne größere Unterbrechungen in Österreich. Die Frage ist eigentlich vielmehr, welche Anlässe zur Identifizierung mit dem Heimatland gegeben sind:
Die Sprache? Dialektfrei aufgewachsen habe ich höchstens einen leicht hessisch-fränkischen Einschlag und bin weit entfernt vom Hochdeutsch nördlich der Mainlinie, genauso weit entfernt aber auch vom bajuwarisch südlich des Weißwurstäquators. Nach vielen Jahren in Tirol und Studienkollegen aus allen Teilen Österreichs sind mir andere Dialekte sehr vertraut, ebenso andere Schreibweisen, Redewendungen und das umfangreiche Fluchvokabular. Vokabeln zählen seit jeher zu meinen Stärken, weshalb ich sprachliche Feinheiten und Doppeldeutigkeiten wie ein Schwamm aufsauge.
Das Essen? Ich vermisse scharfen Senf, gutes Schwarzbrot, das schimmelt, wenn es alt wird und nicht zum Betonklotz. Sonst bietet mir die österreichische Küche mehr als Bratwurst und Pommes an der Imbissbude, aber auch nicht weniger als lokale fränkische Küche.
Der Sport? In den vergangene Jahren war ich auch in österreichischen Stadien, nicht notwendigerweise mit deutscher Beteiligung. Ich kann die österreichischen Sportler anfeuern, ganz ohne verräterische Patriotismusgefühle. Die werden höchstens geschürt, wenn Österreicher aus Prinzip gegen deutsche Mannschaften sind. Dann solidarisiert man sich fast unfreiwillig.
Die Politik?Über die deutsche Politik erfahre ich mittlerweile vorwiegend aus der österreichischen Presse, warum sollte ich mich für mehr interessieren? Das ist das Paradoxe an der Situation: In Deutschland darf ich wählen und noch mitbestimmen, unter welcher Politik meine Familie zu leiden hat, während ich mich - ganz vorbildlich für einen Zuwanderer - intensiv mit österreichischer Politik auseinandersetze, deren Auswirkungen auf meinen Lebensmittelpunkt ich aber nicht beeinflussen kann.
Die Landschaft? Die bietet mir in Österreich Abwechslung, und zwar weit mehr als nur die Alpen, wenn ich an die Wachau, die Donauauen, den Rohrwald und den Neusiedler See denke - von den unmittelbar entfernten Heurigen im Wiener Westen ganz zu schweigen. Zudem schätze ich die Nähe zu den Nachbarländern, während in meiner Heimat Nachbarländer hunderte Kilometer entfernt liegen. Das prägt die Menschen und die Vorurteile, auch wenn ich nicht verstehe, warum so viele Österreicher so abschätzig über ihre ehemaligen Mitglieder der österreichischen Monarchie reden.
Die Behörden? Umständlichkeit ist eine Tugend in beiden Ländern. Als ich mich einen Tag zu spät in Wien anmeldete, verpasste ich das Recht in Wien wenigstens auf kommunaler Ebene mitwählen zu dürfen - soviel zur österreichischen Gemütlichkeit. So erniedrigend wie Hartz4 scheint die Mindestsicherung in Österreich nicht zu sein. Immerhin befinden sich viele Arbeitslosenzahlen in ständigen Schulungen.
Die Bahn? Auch, wenn es viele Österreicher nicht wahrhaben wollen: Die ÖBB ist deutlich leistbarer als die DB, da sie nach Kilometern und nicht nach Zeit abrechnet. Deshalb kosten Regional- und Fernzug gleich viel, zudem hat die ÖBB bei extremen Wetter in der Regel nicht so massive Probleme und ist daher zuverlässiger. Die On-Board-Preise sind ebenfalls normale Restaurantpreise, manchmal sogar darunter, während man bei der DB ausgeweidet wird wie ein Schaf.
Der Rassismus? Die Reaktion der Politiker auf Hungerstreiks von Flüchtlingen, egal ob in der Votiv-/Servitenkirche oder in München, ist selbstredend. Dass man damit aber auf Wählerstimmenfang gehen kann, bleibt den Österreichern vorbehalten. Alltagsrassismus ist hier viel sichtbarer und gesellschaftlich akzeptierter als in Deutschland, wo die political correctness das Pendel in die Gegenrichtung ausschlagen lässt. Voneinander lernen könnten beide.
Der Zwang einer Heimat. Heimat ist für mich der Ort, wo sich mein Lebensmittelpunkt befindet.Wien ist für mich daheim, wenn ich zuhause bin. Zuhause ist für mich daheim, wenn ich in Wien bin.
In Summe hege ich gespaltene Gefühle gegenüber dem Begriff Heimat: Ich möchte als Mensch wahrgenommen werden, nicht als Herkunft. Darum solidarisiere ich mit Migranten in Österreich, die durch ihre Aussprache, Aussehen und Herkunft schubladisiert und entrechtet werden - die vordergründig als Bedrohung, nicht als Bereicherung begriffen werden. Ist nur derjenige ein guter "Ausländer", der für die Staatsoper singt, der für den Breitensport antritt und Millionen verdient?
Viele von uns - unabhängig der Herkunft - tragen ihr Kreuz, wechselwirken mit den Mitmenschen, fügen Erfahrungsschätze hinzu. Kein Platz für primi inter pares, für Vorzeige-VIP-Zuwanderer, die ein falsches Anforderungsprofil für vorbildliche Zuwanderung abgeben. Wenn man sich das neue Staatsbürgerschaftsgesetz betrachtet, hat dieses Anforderungsprofil wohl Pate gestanden.