Letzten Samstag stand ich an der Kasse eines Supermarkts. Im Laden frug mich eine Augustin-Verkäuferin, was das abgepackte Stück mariniertes Fleisch denn koste, das sie in der Hand hielt. Zu teuer für sie, wie sich herausstellte. Mit traurigem Blick wandte sie sich ab. Später an der Kasse, auf beiden Seiten lange Schlangen. Ich stehe eingekeilt etwas weiter hinten, beide Hände voll mit Einkäufen, und beobachte zunächst, wie eine junge Frau erst nach mehreren Anläufen mit Bankomatkarte zahlen kann, während die Frauen hinter ihr immer ungeduldiger werden. Dann kommt die Augustin-Verkäuferin, legt ihr gesammeltes Kleingeld vor und lässt die Kassiererin abzählen. Zu wenig. Zwei Joghurts da zu lassen reicht nicht für die Milch. Sie muss die Milch da lassen. Blickt sich hilfesuchend um, niemand hilft. Auch ich nicht, der das nicht ansehen kann. Der gerne die Hand frei hätte, um den Geldbeutel herauszukramen, damit sie den verdammten Euro für die Milch endlich bekommt. Ich rühr mich nicht, während sie ohne Milch aus dem Supermarkt geht. Die Frau vor mir lässt so etwas wie "Jetzt geht es ja wieder schneller - also gleich zwei Mal so lange warten, das war schon bissl zach jetzt" los, was mich ziemlich wütend macht. Der Augustin-Verkäuferin war es peinlich genug, sich mit ihrer Armut vor allen brüskieren zu müssen. Nachtreten muss nicht sein. Als ich an die Reihe komme, sage ich "Aufrunden, bitte!" und schäme mich dafür. Da hätte ich individuell helfen können und stattdessen tue ich es nur feige anonym, weil es ja viel einfacher ist, einen Geldbetrag um ein paar Blechmünzen aufzurunden als vor allen Einkaufenden Partei zu ergreifen und direkt zu helfen. Noch dazu, wenn man die Dekadenz und das Privileg besitzt, sich etwas leisten , was man sich eigentlich gar nicht leisten kann, aber trotzdem tut. Leider geht sie rasch aus dem Geschäft und davon, ich wäre ihr am liebsten hintergeeilt, aber als ich aus dem Geschäft trete, ist sie nicht mehr zu sehen.
Das schlechte Gewissen hat mich tagelang gequält. Gestern lief ich extra an diesem Supermarkt vorbei, um meine Feigheit wiedergutzumachen. Aber sie war nicht zu sehen. Heute stand sie wieder da und ich fasste mir ein Herz. Sie fragte mich, wie's mir ging und erzählte gleich, dass es ihr nicht gut ginge, dass sie Kinder zuhause hätte. Ich kaufte ihr einen Augustin ab und legte als Spende das Doppelte drauf. Aber reicht das?
Ist mein Gewissen nun so rein, dass ich mich auf dieser Heldentat ausruhen darf? Nein. Hinter dem Umstand, dass sie den ganzen lieben Tag von morgens bis abends vor dem Supermarkt stehen muss, auf den Goodwill von wenigen Passanten angewiesen ist, die ihr einen Augustin abkaufen, und sie die Hälfte des Ertrags ohnehin abgeben muss, verbirgt sich ein menschliches Schicksal. Eines von vielen.
Wir tragen alle unser Kreuz und sind aus den verschiedensten Gründen nicht immer in der Lage, in direktem Kontakt zu helfen, um Not zu lindern. Gegen "Aufrunden, bitte" spricht meiner Ansicht nichts, auch wenn als Kritik genannt wird, "dass es unbekannte Hilfsorganisationen ja viel nötiger hätten". Aber es wird auch niemand gezwungen, NICHT aufzurunden. Das ist eine freiwillige Möglichkeit.
Individuell helfen ist genauso wie institutionell helfen wichtig und darf nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Geld ist natürlich nicht alles. Ein Lachen zurückgeben, zuhören, fragen - auch das macht schon glücklich, längst nicht nur Mittellose, sondern Menschen generell, wenn es ihnen schlecht geht und sie sich zurückziehen.
Die Krux ist allerdings der generelle Umgang mit Armut und mit Flüchtlingen, die nicht arbeiten dürfen und sich ihr Taschengeld, denn mehr ist es nicht, durch Straßenzeitungsverkauf aufbessern müssen. Das ist ein gesellschaftlicher Missstand, der sich nicht durch Geldspenden alleine auflösen lässt. Dazu ist ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft notwendig, und der ist unter Jahrzehnten konservativer Regierungsbeteiligung und stets hohem Anteil an Rechtsparteien immer wieder torpediert worden. Als Zugereister fühle ich mich für diesen Zustand nicht verantwortlich, da ich hier nie gewählt habe. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt Verantwortung abwälzen kann. Nachdem sich mein Lebensmittelpunkt gänzlich nach Österreich verlegt hat, brennt so viel Feuer in mir, diesen Missständen nicht tatenlos zusehen wollen. Was nichts anderes heißt, als dass ich hier auch ohne Wahlrecht aktiv werden möchte. Soweit es meine Rahmenbedingungen zulassen. Dafür österreichischer Staatsbürger werden? Ich weiß nicht, mir spricht Dirk Stermann aus der Seele, als er im Interview entgegnete "Ich finde es schon beschissen genug, Deutscher zu sein."
Die Krux sind aber auch die stark steigenden Lebensmittelpreise, gerade Grundnahrungsmittel, die man sich als Durchschnittsarbeiter leisten kann, auch wenn man über die Preise nur noch den Kopf schütteln muss. Vielleicht hätte sie ihre Lebensmittel auf dem nahen Brunnenmarkt preiswerter bekommen, hätte sie die Zeit gehabt, vor Marktschluss dort hin zu gehen.
Ich weiß nur, dass ich beim nächsten Mal nicht untätig da stehen werde, wenn es wieder nicht für die Milch reicht.
Das schlechte Gewissen hat mich tagelang gequält. Gestern lief ich extra an diesem Supermarkt vorbei, um meine Feigheit wiedergutzumachen. Aber sie war nicht zu sehen. Heute stand sie wieder da und ich fasste mir ein Herz. Sie fragte mich, wie's mir ging und erzählte gleich, dass es ihr nicht gut ginge, dass sie Kinder zuhause hätte. Ich kaufte ihr einen Augustin ab und legte als Spende das Doppelte drauf. Aber reicht das?
Ist mein Gewissen nun so rein, dass ich mich auf dieser Heldentat ausruhen darf? Nein. Hinter dem Umstand, dass sie den ganzen lieben Tag von morgens bis abends vor dem Supermarkt stehen muss, auf den Goodwill von wenigen Passanten angewiesen ist, die ihr einen Augustin abkaufen, und sie die Hälfte des Ertrags ohnehin abgeben muss, verbirgt sich ein menschliches Schicksal. Eines von vielen.
Wir tragen alle unser Kreuz und sind aus den verschiedensten Gründen nicht immer in der Lage, in direktem Kontakt zu helfen, um Not zu lindern. Gegen "Aufrunden, bitte" spricht meiner Ansicht nichts, auch wenn als Kritik genannt wird, "dass es unbekannte Hilfsorganisationen ja viel nötiger hätten". Aber es wird auch niemand gezwungen, NICHT aufzurunden. Das ist eine freiwillige Möglichkeit.
Individuell helfen ist genauso wie institutionell helfen wichtig und darf nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Geld ist natürlich nicht alles. Ein Lachen zurückgeben, zuhören, fragen - auch das macht schon glücklich, längst nicht nur Mittellose, sondern Menschen generell, wenn es ihnen schlecht geht und sie sich zurückziehen.
Die Krux ist allerdings der generelle Umgang mit Armut und mit Flüchtlingen, die nicht arbeiten dürfen und sich ihr Taschengeld, denn mehr ist es nicht, durch Straßenzeitungsverkauf aufbessern müssen. Das ist ein gesellschaftlicher Missstand, der sich nicht durch Geldspenden alleine auflösen lässt. Dazu ist ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft notwendig, und der ist unter Jahrzehnten konservativer Regierungsbeteiligung und stets hohem Anteil an Rechtsparteien immer wieder torpediert worden. Als Zugereister fühle ich mich für diesen Zustand nicht verantwortlich, da ich hier nie gewählt habe. Das heißt aber nicht, dass ich jetzt Verantwortung abwälzen kann. Nachdem sich mein Lebensmittelpunkt gänzlich nach Österreich verlegt hat, brennt so viel Feuer in mir, diesen Missständen nicht tatenlos zusehen wollen. Was nichts anderes heißt, als dass ich hier auch ohne Wahlrecht aktiv werden möchte. Soweit es meine Rahmenbedingungen zulassen. Dafür österreichischer Staatsbürger werden? Ich weiß nicht, mir spricht Dirk Stermann aus der Seele, als er im Interview entgegnete "Ich finde es schon beschissen genug, Deutscher zu sein."
Die Krux sind aber auch die stark steigenden Lebensmittelpreise, gerade Grundnahrungsmittel, die man sich als Durchschnittsarbeiter leisten kann, auch wenn man über die Preise nur noch den Kopf schütteln muss. Vielleicht hätte sie ihre Lebensmittel auf dem nahen Brunnenmarkt preiswerter bekommen, hätte sie die Zeit gehabt, vor Marktschluss dort hin zu gehen.
Ich weiß nur, dass ich beim nächsten Mal nicht untätig da stehen werde, wenn es wieder nicht für die Milch reicht.